Segelmarathon Vendée Globe: Milde Wut
Die Führenden in der Weltumsegelungsregatta haben mehr als die Hälfte des Wegs hinter sich. Bald passieren sie den abgeschiedensten Punkt der Welt.
Das hat es bei der Vendée Globe noch nie gegeben: Die als „Wütende Fünfziger“ bekannte und berüchtigte Starkwindregion der 50er Breitengrade im Südpazifik empfängt bei dieser Auflage der Einhandregatta um die Welt die Segler*innen mit einem stabilen Hochdrucksystem und damit einer ausgeprägten Flaute. Um das vor ihnen liegende Gebiet wenigstens ansatzweise zu umsegeln, steuern die Skipper eng an der von der Wettfahrtleitung festgelegten Verbotszone der Eisgrenze entlang.
Sollten die Meteorologen recht behalten, wird sich in den Tagen der Flaute die Führungsgruppe des Feldes aus ursprünglich 33 Booten zusammenschieben. Dann dürften sich am Samstag nach mehr als 12.000 Seemeilen bereits gesegelter Strecke die ersten acht Boote auf weniger als einhundert Meilen verteilen. Ein so enges Rennen gab es noch nie.
Der deutsche Skipper Boris Herrmann (39) liegt bei seiner ersten Teilnahme bei diesem Ausdauerrennen auf einem hervorragenden vierten Platz. Wie die meisten Skipper hat Herrmann die milderen Bedingungen der letzten Tage genutzt, um dringende Reparaturen an seinem Boot sowie an seiner Standardfock J2 durchzuführen. Dabei hat er trotzdem noch den Abstand auf die Boote vor ihm verringern können. Diese hatten teilweise noch größere Schäden zu beheben.
Noch im Indischen Ozean, der sich jetzt meist von seiner stürmischen Seite und mit völlig unregelmäßigem Wellengang gezeigt hatte, gab es einmal eine Leichtwindzone. In der kamen sich plötzlich fünf teilnehmende Boote so nahe, dass sich zwei Skipper sogar von Schiff zu Schiff unterhalten konnten.
Nette Unterhaltung
Herrmann, der keinen Hehl daraus macht, dass die Einsamkeit beim Solosegeln nicht seine Sache ist, freute sich über die Begegnung auf See. „Das war sehr motivierend und supernett“, meinte er. Es liegt in der Natur des sogenannten Einhandsegelns auf dem Meer, dass die Einhaltung der Abstandsregeln, die durch die Coronapandemie überall zum Alltag geworden sind, schon in den Vorjahren stets übererfüllt waren.
Noch vor einer Woche war Herrmann bei seiner per Satellit abgehaltenen wöchentlichen Pressekonferenz davon ausgegangen, dass er an den Weihnachtsfeiertagen den berühmten Point Nemo passieren wird. Das ist der errechnete Punkt im Meer zwischen Neuseeland und Chile, der auf der ganzen Welt am weitesten von jeglichem Land entfernt ist, genau 2.688 Kilometer in beide Richtungen.
Dorthin kann kein Rettungshubschrauber mehr fliegen, weil er mit seiner Tankfüllung nicht mehr zurückkäme. Der nächste Mensch ist dennoch nur 408 Kilometer entfernt – in der Raumstation ISS, wenn sie beim Umkreisen der Erde die Stelle gerade überfliegt. Wegen der prognostizierten Flaute der nächsten Tage wird Herrmann den Point Nemo wahrscheinlich erst am 30. Dezember passieren.
Wechsel in der Führung
Bisher hat bei dieser 9. Auflage der Vendée Globe der Spitzenreiter schon mehrfach gewechselt, meist, weil der Führende mit Schäden am Boot zu kämpfen hatte. So fiel der Franzose Louis Burton bei der Reparatur seines Mastes, die er im Windschatten der Macquarieinsel 1.500 Kilometer südlich von Tasmanien durchführen musste, vom ersten auf den elften Platz und hat jetzt rund 800 Seemeilen Rückstand.
Boris Herrmann
Boris Herrmann segelt bewusst eher vorsichtig und fährt etwa bei stärkerem Wind und Wellen seine Seaexplorer lieber langsamer, um keine Beschädigungen zu riskieren. Bisher hat sich diese Herangehensweise ausgezahlt. Dabei lautet Herrmanns Credo ohnehin, dass für ihn letztlich das Erreichen der Ziellinie an der französischen Atlantikküste wichtiger ist als eine gute Platzierung.
Bisher haben schon sechs Boote aufgeben müssen. Dabei sind jetzt die Führenden schon sechs Tage langsamer als der Sieger bei der letzten Vendée Globe vor vier Jahren. Damals brauchte der insgesamt 74 Tage. Es war eigentlich erwartet worden, dass die Sieger die Strecke in nur noch 70 Tagen oder weniger schaffen. Denn die neuesten Boote haben optimierte Tragflächen („Foils“) bekommen, um die Rümpfe stärker aus dem Wasser zu heben und damit schneller zu machen. Andere Boote wie das von Herrmann wurden entsprechend nachgerüstet. Doch die Bedingungen seien bisher einfach nicht gut gewesen, um mit Hilfe der Tragflächen größere Geschwindigkeiten zu erreichen, erklärt Herrmann. Und einige ältere Boote ohne Tragflächen hätten sich noch als erstaunlich konkurrenzfähig erwiesen.
„Ich bin froh, dass ich Proviant für 80 Tage mitgenommen habe“, sagt der derzeit drittplatzierte Thomas Ryant halb ernsthaft, halb im Scherz. Er hat jede Hoffnung auf einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufgegeben. Herrmann hofft, nach der Umrundung von Kap Hoorn quasi auf der Zielgraden im Atlantik wieder auf gute Bedingungen zu stoßen, um das Geschwindigkeitspotenzial seines Bootes nutzen zu können. „Wenn ich rund Kap Hoorn bin, gibt es eine große Feier hier an Bord“, verspricht er.
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