Seepferdchenstreit: Lernen ohne Lehrer
Bremens Schulschwimmen-Modell hat viele Nachahmer gefunden. Ob die Vereinbarung zwischen Bildungsbehörde und Bäder-Gesellschaft vor Gericht Bestand hat, zeigt sich aber erst jetzt.
Sam hat auch angenehme Erinnerungen ans Schulschwimmen. "Das Schönste war, als die eine Bademeisterin die Weisheitszähne gezogen bekam" sagt er. "Da konnt sie nicht so rumschreien."
Sam heißt nicht Sam, und er darf als unbefangener Zeuge gelten: Mit der Klage hat er nichts zu tun, und ein paar Jahre liegen seine Erfahrungen mit dem neuen Schulschwimmen-Modell schon zurück. Dessen Grundzüge wurden mehrfach übernommen, auch in Hamburg: Den Unterricht erteilen Schwimmmeister im Dienste der Bädergesellschaft.
Mit einem feinen Unterschied: "In Hamburg ist die Behörde für den Transport verantwortlich", so Kirsten Ruede von der Hamburger Bäderland GmbH. Dagegen ist in Bremen "die Abholung mit Betreuung" Gegenstand der Vereinbarung zwischen der Bremer Bäder GmbH und der Bildungssenatorin. Dort berät das Verwaltungsgericht heute im Eilverfahren, ob die Schulpflichtveranstaltung in der gegenwärtigen Form hätte privatisiert werden dürfen. Der Rechtsstreit stellt das ganze Modell in Frage - aber die Hauptrolle spielt das Transport-Thema.
Die zuverlässigsten Daten zum Schulschwimmen stammen nach wie vor aus der empirischen Sprint-Studie des Deutschen Sportbundes, die der Paderborner Sportwissenschaftler Wolf-Dietrich Brettschneider koordiniert hat. Ihre Ergebnisse wurden 2007 veröffentlicht.
Unfähig zu schwimmen ist ihr zufolge bundesweit ein Drittel der Grundschulkinder.
Als Ursache des Trends bestimmt die Studie schlechte Rahmenbedingungen fürs Schulschwimmen: 20 Prozent der Grundschulen hätten gar keinen Zugang mehr zu Bädern.
Zudem ist der Anteil der fachfremd unterrichtenden Sportlehrer an Grundschulen mit 49 Prozent überproportional groß. (taz)
Geklagt hat eine Bremer Familie. "Ich will ja, dass mein Sohn Schwimmunterricht hat", sagt Gustav Huber*, "gerne auch vom Bademeister", das sei nicht das Problem. Sein Sohn? "Der findet es natürlich scheiße, nicht mit schwimmen zu gehen", räumt Huber ein, schließlich könne ers ja und mache es auch gern. "Aber ich erwarte, dass dabei eine Vertrauensperson mitfährt." Die LehrerInnen bleiben jedoch in den Schulen, um dort zu unterrichten.
Das ist ja der Witz des Modells: Auf 200.000 Euro bezifferte dessen Erfinder Willy Lemke (SPD) den Einspareffekt, "und die Kinder lernen besser Schwimmen", so der damalige Bildungssenator. Das hört sich doch ganz sinnvoll an. Außerdem gibt es solche und solche BademeisterInnen. "Der die Nichtschwimmer hatte", sagt Sam, "hat nicht rumgemotzt". Der sei mit denen sogar immer ins Wasser gegangen, "ins kleine Becken". Am Ende des Schuljahres konnten die meisten schwimmen, "eigentlich alle". Eine Schwimmer-Quote von 86 Prozent habe man mittlerweile in den vierten Klassen, so Behörden-Sprecherin Karla Götz, "bei 60 lag sie vor Einführung des Modells".
Klar lässt sich fragen: Brauchen denn die Kinder studierte Pädagogen, um im Bus zu sitzen? Allerdings: Transporte sind neuralgische Punkte. Das weiß man in Bremen seit vergangenem April: Da vergaßen zwei Fahrer des Malteser-Hilfsdienstes ein autistisches Kind im Sammelfahrzeug. Ein Fall, an den Kläger-Anwalt Matthias Westerholt erinnert. "Vergleichbares", hat er ans Gericht geschrieben, "sollte unbedingt vermieden werden". Und immerhin findet im Wasser nur ein Viertel des Schwimmunterrichts statt. "Der zeitliche Ablauf orientiert sich an einer 30-minütigen Beckenzeit", heißt es in der Info-Broschüre der Bremer Bäder Gesellschaft. Insgesamt veranschlagt sie "einen durchschnittlichen Zeitaufwand von 1 Stunde 50 Minuten".
"Es war immer ziemlich laut im Bus", erinnert sich Sam. Nur die Begleitpersonen seien unauffällig geblieben, "es gab schon zwei", fällt ihm ein, "aber die haben das gar nicht hingekriegt". Gut möglich. Denn dass "die Bustransfers von qualifizierten Kräften verantwortlich begleitet" werden, wie es in der Vereinbarung zwischen Behörde und Schwimmbetrieb steht, bedeutet wenig: Angaben über die Rechtsgrundlage fehlen. Und während der zwei 15-minütigen Umkleidephasen ist vertraglich sogar nur "eine personelle Betreuung" zugesichert. "Die Behörde hat das überhaupt nicht problematisiert", sagt Westerholt. Dabei handele es sich eindeutig um Unterricht: "Da hat man", sagt er, "ein diffiziles Schulgesetz - und nur hier, wo ein Teil der Beschulung privatisiert wird, spielt das plötzlich keine Rolle mehr".
Früher sei oft kein Schwimmunterricht möglich gewesen, heißt es von der Behörde. "Da haben die Eltern das dann privat organisiert", so Götz. "Jetzt haben wir es flächendeckend für alle 3. Klassen." Klagen habe es seit Einführung 2001 keine gegeben - bis jetzt, versteht sich.
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