: Sechs Spuren für den Herrn Minister
■ Wie ein Planungsprozeß im Autobahnbau nach geltendem Recht abläuft
Landesminister Sigismund Hartgrund ist überzeugt, das Land braucht eine Autobahn. Anders wird die Küstenstadt Gorchkoog nie auf einen grünen Zweig kommen. Nur die sechsspurige Anbindung an das 150 Kilometer entfernte Ballungszentrum Megastadt kann die erhofften Arbeitsplätze ins verschlafene Küstenstädtchen bringen. Doch von der Idee zur fertigen Asphaltpiste ist es nach geltendem Recht ein langer Weg.
Zunächst muß Hartgrund am Regierungssitz Lobbyarbeit betreiben, sein Autobahnprojekt muß in den etwa alle fünf Jahre erstellten Bundesverkehrswegeplan aufgenommen werden. Steht die geplante Route erst mal in diesem Kartenwerk, ist für Hartgrund schon viel gewonnen: Der Bedarf für die Autobahn ist amtlich festgestellt und wird im weiteren Verfahren von Amts wegen nicht mehr hinterfragt. Hartgrund versucht im nächsten Schritt die Finanzierung des Projektes zu sichern und im Bundesland Vorklärungen für eine mögliche Trasse zu treffen.
Das Land leitet ein Raumordnungsverfahren für die Asphaltpiste ein. Über ein Jahr sind Meßtrupps und Ökologen unterwegs und untersuchen, ob und wie die Asphaltpiste Ökonomie und Ökologie der Region verändert.
Die Schwestern Herta und Gerda Meier sind über die Straßenpläne empört. Die Trasse soll genau neben Gerdas Schrebergarten entlang führen. Herta ist als Grüne sowieso gegen mehr Autoverkehr. Beide schauen sich die in Gorchkoog ausgelegten Raumordnungsunterlagen an und erheben Einwendungen. Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Umweltverträglichkeitsprüfung macht es möglich. Wenige Wochen später findet in Gorchkoog eine Anhörung statt, bei der die Einwände der Meiers abgehandelt und abgetan werden.
Die Unterlagen gehen ans Bundesverkehrsministerium und das bestimmt die Linienführung — direkt am Schrebergarten vorbei. Die 150-Kilometer-Trasse wird in acht 15 bis 20 Kilometer lange Stücke aufgeteilt, für jedes Stück wird ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Ein Jahr vergeht bei detaillierteren Planungen und Prüfungen. Auch der Abschnitt vor Gerdas Schrebergarten wird einer spezifischeren Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen. Es fehlt jetzt nur noch eine Anhörung der von Gerda vorgebrachten Einwendungen, dann sollen die Baumaschinen anrollen. Herta wohnt zu weit entfernt, ist nicht betroffen und wird bei der Planfeststellung daher nicht angehört.
Nehmen wir an, die Verwaltungen haben fix gearbeitet. Seit den ersten Ideen von Minister Hartgrund sind erst fünf Jahre vergangen. Über mehr Kohlendioxid in der Luft, Dioxin im Gemüse und Benzol im Blut der Kinder ist nicht richtig geredet worden. Gerda befürchtet aber eine Vergiftung ihres Gartengemüses, vor allem hätten die Behörden im Planfeststellungsverfahren nicht alle bekannten Unterlagen ausgelegt. Sie klagt vor dem Verwaltungsgericht gegen den Planfeststellungsbeschluß. Schon in der ersten Instanz kostet das die Planer ein Jahr. Doch erst nach vier Jahren stellt das Bundesverwaltungsgericht schließlich fest, die Piste darf so nicht gebaut werden. Nach veränderten Trassenplänen und neuen Anhörungen beginnen die Bagger schließlich nach elf Jahren mit der Arbeit für die Autobahn — vierspurig.
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