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Sebastian Kienle über Triathlon„Ich fühle mich wie ein Student“

Vor der Wahl zum „Sportler des Jahres“ spricht der Ironman-Hawaii-Gewinner über das Nischendasein seiner Sportart, Selbstbestimmung und Doping.

Sebastian Kienle nach seinem größten Triumph, dem Sieg beim Ironman Hawaii 2014. Bild: dpa
Interview von Frank Hellmann

taz: Herr Kienle, was machen Sie am 21. Dezember?

Sebastian Kienle: Da bin ich bei der Sportlerehrung in Baden-Baden. Den Termin habe ich seit Längerem fest geblockt.

Vor zehn Jahren hat der Hawaii-Sieger Normann Stadler nach der Wahl zum „Sportler des Jahres“ mit despektierlichen Äußerungen über den vor ihm platzierten Behindertensportler Wojtek Czyz einen Eklat produziert.

Ich wäre nicht enttäuscht oder sauer, wenn ein Weitspringer vor mir landen würde.

Als Triathlet auf dem Höhepunkt seiner Karriere fühlte sich Stadler angesichts seines Trainingsaufwands nicht angemessen gewürdigt. Geht das Ihnen auch so?

So wird Sport eben nicht gemessen. Es geht um Angebot und Nachfrage – Profisport ist Marktwirtschaft in ihrer extremsten Ausprägung. Deswegen darf man bei solchen Wahlen nie danach gehen, wie viel ich für den Erfolg gearbeitet habe. Und es ist interdisziplinär gar nicht möglich, sportliche Leistung objektiv zu messen.

Sie würden also verstehen, wenn etwa wieder der Diskuswerfer Robert Harting „Sportler des Jahres“ wird?

Ja, weil ich denke, dass es auch um den Einfluss des Sportlers über seine Sportart hinaus geht – und da hat der Robert eine andere Durchschlagskraft als ich. Und das liegt nicht nur daran, wie schnell er den Diskus aus dem Ring feuert.

Im Interview: Sebastian Kienle

30, ist mehrfacher Deutscher Meister (2005, 2006, 2010, 2014) und Ironman-Hawaii-Gewinner (2014). Seine Triathlonkarriere begann er bereits mit 12 Jahren. Das Radfahren ist seine stärkste Disziplin.

Haben Sie als vierter deutscher Hawaii-Sieger viele Ehrungen, Talkshows etc. hinter sich?

Der Ironman Hawaii ist der einzige Erfolg, bei dem man aus dem Mikrokosmos und Special-Interest-Bereich Triathlon ausbricht. Ich habe rund 40 Interviews bislang gegeben, aber ich bin dabei auch selektiv vorgegangen und habe unter anderem die Einladung ins Aktuelle Sportstudio des ZDF abgesagt.

Mutig.

Ich hätte dafür mit meiner Freundin den Urlaub auf Hawaii und einen Trip nach San Francisco absagen müssen. Sie wollten mich direkt nach dem Rennen haben, in den nächsten zwei Wochen war ich wohl nicht mehr aktuell genug. Und danach passt ein Triathlet nicht mehr ins Fußballstudio.

Der dritte Platz des Ironman-Einsteigers Jan Frodeno auf Hawaii ging fast ein bisschen unter. Ihr Verhältnis gilt als ausgesprochen kollegial – ganz anders als Norman Stadler und Faris Al-Sultan, die sich nicht leiden konnten. Medial wäre eine große Rivalität sicherlich besser zu verkaufen?

Ich weiß, dass es dem Sport nichts wegnimmt, wenn man sich gut versteht. Die Freundschaft rührt von dem Respekt, den wir füreinander empfinden. Und ich habe sogar einen größeren Drang, Leute im Wettkampf zu schlagen, vor denen ich das empfinde.

Was kann der Olympiasieger Frodeno dem Ironman bringen?

Er ist wortgewandt und eloquent, er hat Ausstrahlung und Charisma. Und er sorgt dafür, dass alle wieder ein Stückchen mehr arbeiten müssen. Er legt die Messlatte für alle extrem höher, denn in Frankfurt hatte er drei Platten, in Kona einen. Dauerhaft will ich die Rennen so nicht gegen ihn gewinnen (grinst).

Ist er einer, der 2015 schon den Ironman Hawaii gewinnen kann?

Ganz sicher!

Sie haben gerade am Nikolaustag noch am Challenge Bahrain über die Mitteldistanz teilgenommen, wo Sie nach einem Reifenschaden aufgeben mussten. Warum sind Sie dort noch gestartet?

Es ist kein Geheimnis, dass dieses Rennen sehr lukrativ war.

Wie steht es mit dem politischen Kalkül bei manchen Ihrer Reiseziele?

Für mich ist es erst einmal egal, ob ich nach Österreich, die USA oder eben jetzt Bahrain fliege. Ich versuche mich vorher von allen Vorurteilen zu lösen, um mir dann vor Ort selbst ein Bild zu machen. Das mag dann sicher unvollständig sein, aber Sport trägt immer zur Verständigung und Öffnung bei.

Dann würden Sie von Boykott im Sport abraten?

Ein Boykott würde doch nichts bewirken. Es gab Olympische Spiele in Peking oder Sotschi, Formel 1 in Abu Dhabi, bald die Fußball-WM in Katar – was ist denn bisher passiert? Gerade die deutschen Medien haben bei ihrer Berichterstattung nicht die Scheuklappen auf, sondern sprechen auch die Dinge links und rechts an. Ich glaube wir haben die größeren Probleme in Ländern, in denen solche Sportveranstaltungen noch nicht stattfinden.

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer persönlichen Situation?

Viele Leute fliegen ja in ein Loch, wenn sie solch ein großes Ziel erreicht haben. Ich denke, ich habe das bisher ganz gut geschafft. Ich habe kein Team hinter mir, das mir alles abnimmt. Ich behaupte einmal, dass ich nicht in einer Scheinwelt lebe, aus der ich mit 35 geschockt aufwache. Ich glaube, dass es wenige Menschen gibt, die ihr Leben so selbstbestimmt gestalten wie ich.

Wie oft stellen Sie sich im Training die Sinnfrage?

Oft. Würde ich das im Rennen tun, wäre das eine Katastrophe. Es kommt auch mitunter vor, dass ich bei manchen Trainingseinheiten keine Antwort darauf weiß, und dann höre ich einfach auf. Mein Hawaii-Sieg ist diesbezüglich hilfreich, weil ich mir viele schöne Bilder in den Kopf gehämmert habe.

Die wenigsten Triathlon-Profis können von ihrem Sport gut leben. Sie haben lange Physik studiert, dann aber auf ein Fernstudium Internationales Management umgeschwenkt.

Ich bin Triathlet, aber ich fühle mich ein bisschen wie ein Student, weil ich meinen Lebensstil seitdem nicht wahnsinnig geändert habe. Für mich ist das Studieren vor allem eine Option: Wenn man gar nichts anderes hat als den Sport, merkt man bei einer Verletzung erst, wie leer der ganze Tag auf einmal erscheint. Dann findet man auch niemand, der um zehn Uhr in der Woche mit einem frühstücken geht.

Außer dem Ironman Frankfurt und Hawaii und dem Triathlon in Roth sind die Langdistanz-Wettkämpfe kaum in der öffentlichen Wahrnehmung. Was ist dagegen zu tun?

Wir sind zwar keine Boom-Sportart, wachsen aber relativ konstant und haben einen stabilen Unterbau. Skispringen und Roden sind zwar medial meilenweit vor uns, aber besitzen gar nicht die Basis wie der Triathlon. Aber natürlich muss sich bei uns vieles bessern: Die Übertragung unserer Weltmeisterschaft aus Hawaii mit dem Livestream beispielsweise ist vorsintflutlich. Aber es ist wohl eine Geldfrage für den Weltverband.

Der wollte einst Lance Armstrong als Zugpferd gewinnen. Sie haben sich damals dagegen ausgesprochen. Warum?

Weil es eine typische Aktion gewesen wäre, nur kurzfristig die Aufmerksamkeit zu erhöhen – aber massiv auf Kosten derjenigen Sportler, die den Triathlon nach vorne gebracht haben. Und meine Bedenken haben sich ja auch bewahrheitet …

kurz danach kam sein Dopinggeständnis.

Ja, und das zeigt doch, dass sich der gesamte Triathlon daran die Finger verbrannt hätte. Man kann nicht auf der einen Seite sagen, man will diese Sportart dopingfrei halten und macht auf diesem Sektor einen guten Job, aber auf der anderen Seite holt man jemand wie Lance da rein. Nein, der hatte bei uns nichts verloren!

Waren Sie auch deshalb so argwöhnisch, weil Sie einst Jan Ullrich angehimmelt haben und sich persönlich enttäuscht fühlten, als die Zweifel aufkamen?

Alexander Winokurow fand ich früher fast noch besser. Damals war ich mehr Sportkonsument als Spitzensportler, und in diesem Alter hat man sich einfach Vorbilder gesucht. Ich habe damals immer die letzten Schulstunden geschwänzt, nur um mir die Flachetappen in voller Länge reinzuziehen. Wenn man dann irgendwann kapiert, was wirklich abläuft, ist das krass. Krass enttäuschend.

Was können Sie vorbringen, dass im Triathlon zumindest bei Ihnen es sauber abläuft, wenn Sie schwimmen, radeln, laufen?

Ich habe Verständnis für jeden Verdacht, aber ich kann immer nur wieder sagen: Es würde alles konterkarieren, weshalb ich diesen Sport mache. Und ich bin bestimmt nicht das absolute Jahrhunderttalent, aber ich habe den wichtigsten Ironman der Welt gewonnen – wenn alle hinter mir gedopt hätten, wäre das schon extrem erstaunlich. Aber es ist mein größtes Problem, dass ich dies nicht schlussendlich beweisen kann. Aber im Triathlon gibt es keine Parallelwelt wie im Radsport.

Was bedeutet das konkret?

Bei uns wird der Ex-Doper nicht später noch Teamchef, Busfahrer, Mechaniker oder Physiotherapeut und mischt weiter munter mit. Bei uns herrscht eher die Atmosphäre, gegenüber denen, die Dreck am Stecken haben, hart zu sein. Wir zeigen ihnen, dass sie nicht mehr willkommen sind. Welche wie Michael Weiss oder Lisa Hütthaler haben es bei uns schwer, wieder Respekt zu bekommen. Auch von mir.

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