Scientology-Expertin Caberta: "Glückwunsch, Herr Cruise!"
Hollywoodstar Tom Cruise ist der wichtigste Multiplikator von Scientology - und soll Deutschland missionieren. Es läuft gut für ihn. Zu gut, findet Scientology-Expertin Caberta.
taz: Frau Caberta, Sie forderten im vergangenen Jahr das Verbot von Scientology in Deutschland. Die Welt ist voller Sekten. Was macht ausgerechnet Scientology für Sie so gefährlich?
Ursula Caberta: Scientology ist keine Sekte. Der Sektenbegriff impliziert ja etwas Religiöses - und Scientology hat nichts Religiöses an sich. Scientology ist eine politische Organisation mit politischer Ideologie und einer subtilen Vorgehensweise, um ihre Ideen in der Gesellschaft zu etablieren - und diese letztlich zum gesellschaftlichen Meinungsbild zu erheben.
Ursula Caberta, geboren 1950, ist Diplom-Volkswirtin und leitet seit 1992 die Arbeitsgruppe Scientology bei der Behörde für Inneres in Hamburg. Bis 2001 war sie Mitglied der SPD, trat 2004 der WASG bei, die sie im letzten Jahr verließ.
Aber wovon geht die Gefahr genau aus?
Man kann das auf zwei wesentliche Punkte reduzieren. Die Ideologie besagt, dass es zwei Arten von Menschen gibt. Auf der einen Seite die Scientologen. Sie haben das Wissen gepachtet. Und damit das Recht, über andere zu richten. Die anderen sind das sogenannte Raw Meat, das rohe Fleisch, das noch zu bearbeiten ist. Das allein ist schon ein Ideologieansatz, der mit freiheitlichem Denken nicht zu vereinbaren ist. Hinzu kommt, dass der Gründer L. Ron Hubbard davon ausgeht, dass drei bis fünf Prozent der Bevölkerung so psychisch krank sind, dass sie niemals zu überzeugen sind. Wenn die Meinungsführung erreicht ist, sollen diese unter Quarantäne gestellt und interniert werden. Das alles sind Forderungen, die die Menschenwürde untergraben.
Tom Cruise ist als Hollywoodstar der größte Multiplikator von Scientology. Wie wichtig ist er tatsächlich?
Tom Cruise ist unter den Prominenten der Scientology-Szene mit Abstand der erfolgreichste. Selbst ein John Travolta ist an diese Wirkung niemals herangekommen.
In dem kürzlich aufgetauchten Interview mit Cruise wiederholt dieser fast gebetsmühlenartig einen Satz: "I know" - Ich weiß. Was weiß er, was wir nicht wissen?
Das ist der Kernsatz von Herrn Hubbard. Bei Scientology glaubt man nicht, man weiß. Hubbard wird hochstilisiert zum Wissenschaftler aller Wissenschaftler. Und Tom Cruise gehört zu den Auserwählten. Er denkt, dass sich in seiner Hand das einzige wahre Wissen befindet. Er hat die Hubbard-Lehre völlig verinnerlicht und verhält sich entsprechend.
Seine Sätze klingen wie eine Kampfansage. Wogegen?
Gegen den Rest, vor allem gegen die, die Aufklärung betreiben. Die Sprache der Scientologen ist sehr martialisch. Und Cruise kommt eine besondere Rolle zu. Der Oberboss, David Miscavige, hat vor einigen Jahren Europa den Krieg erklärt. Die Marschrichtung lautete: Das alte Europa muss in den Griff bekommen werden. Cruise war von Anfang an wichtiger Teil dieser Kampagne. Es gibt einen Brief von ihm, in dem er sich beim State Department für die Hilfe der US-Vertretungen in Europa bedankt, die es ihm ermöglichen, für seine "Religion" direkt vor Ort zu mobilisieren.
Seitdem das Interview im Internet kursiert, ist Scientology wieder sehr präsent in unseren Köpfen. Machen die Medien Scientology damit wichtiger, als die Organisation eigentlich ist?
Nein, im Gegenteil. Tom Cruise wurde ja immer so ein bisschen belächelt. Nach dem Motto: "Er ist Schauspieler, lassen wir ihn doch machen. Was kümmerts uns, was er sonst macht?" Das hat sich spätestens jetzt geändert. Es ist wichtig, dass das an die Öffentlichkeit gerät. Und sehr schön, das andere Gesicht des Herrn Cruise zu sehen.
Guido Knopp hat Cruise mit Joseph Goebbels verglichen. Wie dienlich ist ein solcher Verbündeter in Ihrem Kampf?
Er vergleicht ja den Habitus der beiden. Die Weise, wie das Volk zu seinen Worten aufspringt und jubelt. Insofern nehme ich Guido Knopp den Vergleich nicht übel, auf die Idee kann man als historisch Interessierter kommen.
Macht sich Frank Schirrmacher mit Scientology gemein, wenn er Cruise bei der Bambi-Verleihung einen für ihn ausgedachten Preis "für seinen Mut" überreicht?
Das ist wirklich der absolute Hammer. Die Leute sind Tom Cruise und seinem Hollywoodlächeln völlig auf den Leim gegangen. Das passiert, wenn man nicht weiß, welchen Job er da zu machen hatte - nämlich die Europastrategie auch in Deutschland zu verfolgen. Das hat er beim Bambi hinbekommen. Glückwunsch, Herr Cruise!
INTERVIEW: DANIEL MÜLLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!