: »Schwule sollen Wehrhaftigkeit zeigen«
■ In Ost-Berlin gibt es nach Erfahrungen von Hauptkommissar Heinz Uth ein »unwahrscheinliches Gewaltpotential«
Berlin. Der 55jährige Hauptkommissar Heinz Uth ist seit Oktober letzten Jahres zuständig für den Bereich »gleichgeschlechtliche Lebensweisen« bei der Berliner Polizei. Vorher hat Uth zehn Jahre im Straßenraubbereich gearbeitet.
taz: Häufen sich Ereignisse wie der Überfall auf das Schwulenfest in Mahlsdorf und das Café Subversiv?
Heinz Uth: Ich denke, man muß einen Unterschied machen zwischen dem ehemaligen West- und dem ehemaligen Ost-Berlin. Dort gibt es ein unwahrscheinliches Gewaltpotential. Ich habe manchmal den Eindruck, die machen da weiter, wo Tiere aufhören. Dort häufen sich solche Überfälle.
Wo könnten Ihrer Ansicht nach die Ursachen liegen?
Ich denke, daß vor allem die Jugendlichen dort noch nicht ihren Platz gefunden haben. Daß sie erst noch ausloten müssen, wo die Grenzen eines demokratischen Rechtsstaats liegen. Daß sie ihre Aggressionen ausleben, indem sie Menschen überfallen. Und Schwule verkörpern ja auch einen bestimmten Opfertyp: Sie wirken hilflos und schwach, und sie wehren sich nicht. Von zehn Überfällen wird vielleicht einer zur Anzeige gebracht. Drüben ist es zudem noch immer sehr verbreitet, daß zwar viele Zeugen zusehen, aber niemand eingreift.
In den beiden jüngsten Fällen ist die Polizei immer sehr spät gekommen. Läßt sich die Polizei zuviel Zeit?
Man muß einfach die technischen Möglichkeiten, die Kommunikationsmittel in den neuen Bundesländern betrachten. Dort dauert es einfach länger, bis die Polizei überhaupt informiert ist.
Beide Male fällt auch auf, daß niemand festgenommen wurde.
Sehen Sie, wenn die Überfälle jeweils etwa zehn Minuten gedauert haben, dann ist das für die Betroffenen sehr lang, für die Polizei, die ja erst mal kommen muß, aber sehr kurz. Wir konnten vor Ort einfach niemand Verdächtigen mehr feststellen. Aber es gibt ja Augenzeugenberichte, wir gehen dem nach, und es wird sicher auch in den nächsten Tagen eine Stellungnahme des Polizeipräsidenten dazu geben.
Was kann und will die Polizei gegen Überfälle auf Schwule unternehmen?
Ich denke, das Wichtigste ist die Prävention. Wir müssen schon in der Ausbildung zum Polizisten Berührungsängste abbauen. Im Sommer wird erstmalig eine Ausbildungsgruppe der Schutzpolizei an Seminaren bei Berliner Schwulenprojekten teilnehmen. Für die Polizei ist es wichtig, etwas über die Geschichte der Schwulenbewegung zu erfahren, zu sehen, wie die Projekte heute arbeiten. Und das trägt sicher auch dazu bei, gegenseitig Vorurteile abzubauen. Ich denke, man muß auch etwas dazu tun, um die verhärteten Strukturen in der Schwulenbewegung aufzuweichen: daß dort gesehen wird, Polizei ist nicht gleichzusetzen mit rosa Winkeln und rosa Listen. Mit ein bißchen mehr Vertrauen wäre schon viel geholfen. Beispiel Sonnabend: Wenn die Leute viel eher als wir wissen, daß so etwas bevorsteht, wäre es halt wichtig, daß sie uns rechtzeitig informieren. Denn es ist ja auch klar, daß man nicht von vornherein Uniformierte und Zivilpolizisten da rumstehen haben möchte, wenn man eigentlich ein Fest feiern will.
Die Polizei kann das Problem nicht lösen, das ist klar. Aber allein daß die Polizei schon Mitte 1990 erkannt hat, daß die Schwulen möglicherweise zu den gefährdeten Minderheiten in den neuen Bundesländern gehören, denke ich, ist eine wichtige Sache. Und die Polizei als solche hat durch mich einen Ansprechpartner — was in anderen Senatsdienststellen durchaus nicht immer der Fall ist.
Was müßte Ihrer Ansicht nach über die polizeiliche Arbeit hinaus passieren?
Man kann nicht immer nach dem Staat rufen. Ich denke, daß auch die Schwulen selbst mehr Wehrhaftigkeit an den Tag legen müssen. Das Überfalltelefon ist eine gute Idee, aber es darf nicht dazu kommen, daß die Schwulen der Polzei die Arbeit abnehmen. Sie müssen vor allem aus dem Image der Schwachen und Hilflosen herauskommen. Eigeninitiative zeigen, sich zu Gruppen zusammenschließen und vor allem jeden Vorfall auch anzeigen. Damit wären sicher die ersten wichtigen Schritte getan. Interview: Martina Habersetzer
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