Schwimmunterricht in Hamburg: Schüler schwimmen schlechter
Hamburgs Schulsenator Rabe hat den Schwimmunterricht für die 6. Klasse gestrichen und in die Grundschule verlegt. Nun feiert er sich.
Die Grundschüler lernten besser schwimmen, hat Rabe kürzlich in einer Pressemitteilung behauptet. 87 Prozent hätten am Ende der 4. Klasse das Seepferdchen-Abzeichen, und „66 Prozent von ihnen das Schwimmabzeichen Bronze oder besser“. Dies sei eine besondere Leistung, weil die Hälfte aller Kinder zuvor nicht schwimmen konnte. Gleichwohl räumte er ein, habe man die „Zielzahlen nicht ganz erreicht“. Die lägen bei 95 Prozent Seepferdchen und davon 70 Prozent Bronze.
42 Prozent ohne Bronze
Wer eine alte Pressemitteilung der Lehrerkammer von 2013 liest, und den Taschenrechner nutzt, der begreift die Rabe-Zahlen anders. Bezogen auf alle Schüler haben nicht 66 Prozent, sondern nur 57,4 Prozent ein Bronze-Abzeichen, denn die Wörter „von ihnen“ sind entscheidend. Die erwähnten 66 Prozent beziehen sich nur auf die Bezugsgröße Seepferdchen-Könner. Also haben gut 42 Prozent kein Bronze, was früher mal „Freischwimmer“ hieß.
Das Seepferdchen gilt als Frühschwimmabzeichen. Anforderung: Sprung vom Beckenrand, 25 Meter schwimmen, Objekt aus schultertiefem Wasser holen.
Das Bronze-Abzeichen hieß früher Freischwimmer. Nötig ist, 200 Meter in 15 Minuten zu schwimmen. Außerdem: Gegenstand aus zwei Metern Tiefe holen, Sprung aus einem Meter Höhe, Kenntnis der Baderegeln.
Die Bronze-Quote ging nur bergab. 2006 schafften im Schulunterricht 86 Prozent der Sechstklässler Bronze. 2007 nach dem neuen System 84 Prozent, 2010 nur 72 Prozent, 2014 noch 70 Prozent. 2016 wurde nur noch die Viertklässler-Quote erfasst: 57 Prozent.
Für schwache Schwimmer gibt es Förderkurse.
schafften 172 das Seepferdchen, 13 Bronze, 566 kein Abzeichen.Für Schüler, die zugezogen sind oder nur ein halbes Jahr Schwimmen hatten, gibt es Kurs-Gutscheine. Von 2.346 Gutscheinen wurden 464 eingelöst, nur 106 Kinder schafften Bronze.
Laut Behörde können immer mehr Schulanfänger nicht schwimmen. 2011 41,4 Prozent, 2012 42,2 Prozent, 2013 43,9 Prozent, 2014 45,2 Prozent, 2015 48,1 Prozent. Doch laut einer
waren es 2005 sogar 70 Prozent.Schulen können für höhere Klassen Schwimmen aus ihrem Stunden-Budget anbieten. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnt, diese müssten künftig für die Bad-Zeiten Geld bezahlen. Die Behörde dementiert das. Innerhalb eines Kontigents könnten Schulen die Bäder kostenfrei nutzen.
„Erst mit diesem Abzeichen kann man sicher schwimmen“, sagt DLRG-Sprecher Martin Holzhause. Das Seepferdchen sei nur ein Motivationsabzeichen, schwimmen zu lernen. Für Bronze muss ein Kind 200 Meter über Wasser bleiben, fürs Seepferdchen reichen 25 Meter. Gelogen sind Rabes Zahlen nicht, aber verwirrend.
Am Schulschwimmen doktert Hamburg seit zehn Jahren herum. Früher war dies Teil des Unterrichts. Doch 2006 nahm der CDU-Senat es den Lehrern weg und gab es in die Hände von Bäderland. Dafür wurde er scharf kritisiert, aber es gab gute Ziele: Ende der 6. Klasse sollten 95 Prozent Bronze haben, und alle das Seepferdchen.
Rabe hat 2014 das Schwimmen in den 6. Klassen abgeschafft, und mit ihm diese Zielzahlen. Er behauptet nun: „Damit mehr Kinder schwimmen lernen, wurde der Schwimmunterricht während der Grundschulzeit ab dem Schuljahr 2014/15 verdoppelt.“ Was er nicht erwähnt: Die Stunden wurden nur verlagert. Kinder, die in der 4. Klasse kein Bronze schaffen, erhalten später nicht mehr systematisch die Chance, dies nachzuholen.
Dabei war Schwimmen für Rabe, als er 2008 als Oppositionspolitiker in die Bürgerschaft kam, eines seiner Steckenpferde. Gemeinsam mit Genossin Sabine Boeddinghaus (damals noch SPD, heute Die Linke) stellte er den Antrag „Alle Kinder sollen schwimmen lernen“. Ihn empörte das bestehende CDU-Schwimmkonzept, weil damals „nur“ 84 Prozent Bronze erreichten. Von dieser Quote kann man heute nur träumen.
CDU hatte bessere Quoten
Und es waren damals noch absolute 84 Prozent. Ein Blick in die Statistik zeigt: Die Bronze-Schwimmfähigkeit nahm kontinuierlich ab. Noch im Jahr 2005 erreichten sogar 86 Prozent aller Schüler Bronze. Damals wurden die Schüler noch von ihren Lehrern unterrichtet und hatten in der 3. und 6. Klasse je ein ganzes Jahr Schwimmen.
Mit dem CDU-Konzept von 2006 wurde die Wasserzeit gekürzt. Statt ein Jahr lang einmal die Woche 30 Minuten zu schwimmen, konnten die Kinder nur noch ein halbes Jahr lang 45 Minuten ins Wasser. Auch dieses Modell führte zunächst zu nicht so schlechten Ergebnissen. 2007 schafften eben besagte 84 Prozent Bronze, doch 2010 wurden daraus 72 Prozent, 2013 dann 70 Prozent.
Dann brachte Rabe vor zwei Jahren seine Optimierungs-Drucksache auf den Weg. Die Idee: Jüngere Kinder lernen besser. Also nur noch Schwimmen in der Grundschule, dafür dort wieder ein ganzes Jahr und mit besser Betreuung als in Klasse 6, und für schwache Schwimmer gibt es Förderkurse.
Die Krux: Mit dem Wegfall des Sechstklässler-Schwimmens wurden jene Zielzahlen gültig, die von der CDU nur als Zwischenziel für die Viertklässler gedacht waren. Eben: „95% Seepferdchen, davon 70% Bronze“. Das Wort „davon“ ist wichtig. Faktisch bedeutet dies, dass nur 66,5 Prozent Bronze haben müssen. Das regte damals die Lehrerkammer auf: „33,5% der teilnehmenden Kinder müssen nicht schwimmen können – dann hat das neue Konzept sein selbst gestecktes Ziel erreicht.“
Es verwundert nicht, was Schulpolitikerin Boeddinghaus nun mit Anfragen zu Tage brachte: Kinder in reichen Gegenden machen ihre Abzeichen sowieso, Kinder in ärmeren Vierteln kaum. Auch die Förderkurse helfen da wenig.
Für die kleine Gruppe der Schüler, die zugezogen ist oder in der Grundschule nur ein halbes Jahr Schwimmen hatte, gibt es Gutscheine für Kurse in der Freizeit. Doch die erwiesen sich als Flop. Nur eins von zehn Kindern lernte auf diesem Weg schwimmen. Eine Erfassung, wie viele Sechstklässler Bronze schaffen, ist laut Schulbehörde zu aufwendig und nicht geplant. „Die Zahlen sind ernüchternd“, sagt Sabine Boeddinghaus. „Im Grunde müssen wir zum ganz alten Modell zurück.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin