Schwimmkurse für Kinder: Noch längere Wartezeiten
Aufgrund der Pandemie fielen Schwimmkurse flächendeckend aus. Nun wollen viele den Unterricht schnell nachholen und es entsteht ein Rückstau.
Eineinhalb Jahre mussten die Bäder in den Lockdown gehen. Manche Schulen hätten zwar in Bäder gehen können, doch viele Badbetreiber hätten gesagt: „Nö, wir machen doch nicht für 100 Schüler*innen das Bad jetzt auf“, kritisiert Wiese.
Martina Baden kann vom Gegenteil berichten. Die Geschäftsführerin der Bremer Bäder weist auf die Priorität der Schwimmschüler*innen hin: „Hier in Bremen nutzen wir die kleinen Stadtteilbäder vorrangig für Schwimmunterricht, Schulen und Vereine. Nur die großen Bäder stellen wir auch für die Öffentlichkeit zur Verfügung“, berichtet sie über die Wiedereröffnung der Bäder unter Vorschriften der 3G-Regel. Doch auch in Bremen habe sich die Wartezeit deutlich erhöht. „Sonst haben wir immer so eine Wartezeit von drei bis vier Monaten maximal gehabt. Jetzt kann es durchaus eine Wartezeit bis Ostern nächstes Jahr geben“, so Baden.
Bereits vor der Pandemie seien lange Wartelisten für Schwimmkurse ein deutschlandweites Problem gewesen, meint Wiese. Bis zu zwei Jahre müssten manche Kinder auf einen Platz warten. Schuld daran sei vor allem ein Mangel an Bädern. Rund 25 Prozent der Grundschulen hätten keinen Zugang zum Schwimmunterricht, weil es kein Bad in Reichweite gebe. „Die Forderung ist, dass die Schulen überwindbare Entfernungen zum nächsten Bad bekommen, damit der Auftrag, den Schwimmunterricht durchzuführen, überhaupt durchgeführt werden kann“, sagt Wiese.
Ihm zufolge sollte der Schwimmunterricht spätestens ab der ersten oder zweiten Klasse erfolgen. Bereits ab fünf Jahren seien Kinder fähig, das Schwimmen zu erlernen und die drei Methoden Arm- und Beinbewegungen sowie Atemtechnik miteinander zu kombinieren.
Das Erlernen vom Schwimmen gehört für ihn zum Recht der Kinder dazu. „Ein Schwimmbad ist nicht nur ein Schwimmbad. Ein Schwimmbad ist auch Sozialstätte, Bildungsstätte, Kulturstätte und auch Sport- und Freizeitstätte“, so Wiese.
Dem stimmt auch Martina Baden zu: „Wir haben ein großes Interesse, dass Kinder eigentlich in einem frühen Alter schon an das Wasser gewöhnt werden und dann auch die Schwimmkurse machen und entsprechende Abzeichen erlangen. Für die Eltern, die sich den Schwimmkurs nicht leisten können, gibt es das Programm ‚Kids in die Bäder‘, das wir unterstützen und fördern“, so die Vorsitzende der Bremer Bäder GmbH.
Ein Aufholen der Lücke an verpassten Schwimmkursen sehen beide als dringlich, wenn nicht gar lebenswichtig an. „Schwimmen können ist die beste und sicherste Lebensversicherung für alle Freizeit-Aktivitäten im, am und auf dem Wasser. Selbst wenn ich mein Kind mitnehme auf dem Motorboot, kann es immer passieren, dass jemand über Bord geht. Und wer dann nicht schwimmen kann, ist natürlich einer sehr viel größeren Gefahr ausgeliefert als derjenige, der schwimmen und sich zumindest über Wasser halten kann“, meint Wiese.
Die Gefahr einer erhöhten Zahl an Kindern, die nicht schwimmen können, sei vor allem durch vermehrte Einsätze der Rettungskräfte aufgefallen. Typische Beispiele an Badeunfällen seien Kinder, die von Wellen und einer Unterströmung an der Küste erfasst werden und sich nicht mehr selbst helfen können. Auch Baggerseen seien gefährlich, weil sie zunächst relativ flach sind und dann schlagartig abfallen.
Umso wichtiger sei es, dass Eltern ihre Kinder unterstützen. Dazu reiche bereits eine erste Gewöhnung an Wasser in der Badewanne. „Mal so ein bisschen Wasser ins Gesicht spritzen, damit die Kinder merken, da passiert ja nichts“, so Wieses Tipp. Auch das Untertauchen mit dem Gesicht und das Öffnen der Augen seien Übungen, mit denen die Kinder ihre Angst vor dem Wasser verlieren könnten, sagt der Lebensretter.
Besonders wichtig sei die Gewöhnung an den Kälteschock: „Wenn das Kind ins Wasser fällt, hält es schlagartig die Luft an. Das ist ein Instinkt, damit kein Wasser in die Lunge kommt, kann jedoch dazu führen, dass es zu sogenannten ‚Stimmritzenkrämpfen‘ kommt. Die Kinder können dann nicht mehr atmen und kriegen bewusst mit, wie sie ertrinken“, beschreibt Wiese die Gefahr. Indem Eltern das Wasser in der Dusche ruckartig kalt stellen, könnten sie mit den Kindern trainieren, die Luft nicht anzuhalten sondern auszuatmen.
Neben den Eltern wollen auch DLRG und Bremer Bäder die Kinder unterstützen. Angebote wie Ferienkompaktkurse der DLRG, das Erhöhen der Bremer Bäder auf 7.500 Kursplätze und Extratage, um Schwimmabzeichen zu absolvieren, sollen helfen, die verpassten Schwimmkurse aufzuholen.
Schwimmen als Bildungsauftrag
Besonders Baden zeigt sich optimistisch: „Ich kann auch nur für Bremen sprechen, aber ich glaube, dass wir im nächsten Jahr den gleichen Stand haben wie vor der Pandemie.“ Statt Corona sieht sie das Problem eher an anderer Stelle: „Ursache für diese nicht vorhandene Fähigkeit ist, dass wir in den letzten Jahren häufig beobachten, dass Schwimmen nicht mehr so im Fokus steht, und vielleicht auch tatsächlich gedacht wird, dass man das ja irgendwann mal in der Schule lernt“, kritisiert sie die mangelnde Unterstützung von Schule und Angehörigen.
Wiese stellt vor allem Forderungen an den Staat. Bei den ehrenamtlichen DLRG-Kursen komme es noch immer vor, dass Miete zur Nutzung der Becken an die Bäder oder Gemeinde bezahlt werden müsse. Dies sehe er als Widerspruch zum Bildungsauftrag, den Kindern das Schwimmen beizubringen. Auch stellt er eine klare Forderung an die Politik: „Der Staat muss für mehr Bäder sorgen und die Länder unterstützen, damit auch alle Schulen Zugang haben!“
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