: Schwer auszuhalten
Nach zwei Jahren Prüfung schließt der Landessportbund in Sachsen-Anhalt den rechtsextrem unterwanderten Verein Eintracht Gladau nicht aus. Darüber zu sprechen, fällt allen, insbesondere dem Fußballverband, schwer
Von Johannes Kopp
Das Foto wirkt wie eine Machtdemonstration. Sieben Männer posieren in einem Raum mit grauer Betondecke vor der Kamera. Mehrheitlich tragen sie schwarze Sportklamotten und haben die Fäuste geballt. Dennis Wesemann, der Größte von allen, ein bekannter Neonazi im Jerichower Land nahe Magdeburg, ist natürlich auch dabei. „Erstes Training unter professioneller Anleitung“ steht darunter. Es ist ein Post von der DSG Eintracht Gladau auf deren öffentlichem Telegram-Kanal anlässlich des Starts einer eigenen Kampfsportabteilung. Passend wäre auch die Bildunterzeile „Uns kann keiner etwas verbieten“ gewesen.
Entstanden ist dieses Foto im Januar, als der Landessportbund Sachsen-Anhalt sich noch mitten in der Prüfphase befand, ob er den von Rechtsextremen unterwanderten Verein ausschließen soll. Knapp zwei Jahre dauerte das Verfahren. Wegen sorgfältiger Prüfung aller Aspekte, wie es in der Pressemitteilung vom 8. Oktober hieß, in welcher der LSB die Einstellung des Ausschlussverfahrens gegen Eintracht Gladau kundtat. Grundlage dafür war eine Verpflichtungserklärung, die der Klub unterschrieb. Der Verein erhalte nun die Chance, erklärte LSB-Präsidentin Silke Renk-Lange, „Verantwortung zu übernehmen und dauerhaft für die Werte unserer Sportfamilie in Sachsen-Anhalt einzustehen“.
Wie Eintracht Gladau zum extremistischen Klub wurde, sollte dem LSB nicht unbekannt sein. Es begann im Jahr 2016 mit der Aufnahme von Dennis Wesemann, einem bekannten Netzwerker in der lokalen Neonaziszene, der schon 2011 mit dem FC Ostelbien Dornburg einen Verein aus Nazikickern schuf, die mehrheitlich dem Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt bekannt waren. Als erster Klub im deutschen Fußball wurde Dornburg vom LSB 2015 ausgeschlossen, weil sie in ihrer Liga Angst und Schrecken verbreiteten. Wesemann, der seinen Lebensunterhalt mit dem Vertrieb von gewaltverherrlichender Kleidung verdient, einst Mitglied in der rechtsextremen Magdeburger Hooliganvereinigung „Blue White Street Elite“ war, mehrfach wegen Körperverletzung angezeigt wurde, wechselte nach Gladau. Einige Dornburger Spieler folgten ihm.
Über die Jahre baute Wesemann, 38, seine Machtstellung im Verein aus. Sein Cousin Max Kuckuck wurde Vereinsvorsitzender, der missliebige Vorstand abgewählt. Der Fußballverband Sachsen-Anhalt (FSA) zählte in einem extra erstellten Reader zur Causa Eintracht Gladau 27 Rechtsextreme im Verein und dokumentierte ein Klima der Angst, gehäufte körperliche und verbale Gewalt gegenüber Spielern, Schiedsrichtern und Zuschauern. Auch von Hitlergrüßen Gladauer Fans bei einem Spiel wird erzählt. FSA-Präsident Holger Stahlknecht nahm all diese Berichte zum Anlass, im November 2023 Gladau vom Spielbetrieb auszuschließen. Der Landesportbund lobte damals auf seiner Homepage: „Der Fußballverband Sachsen-Anhalt setzt ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus.“ Und ergänzte: „Der LSB unterstützt diese klare Positionierung des FSA.“
Als aber nach Einspruch von Eintracht Gladau das FSA-Verbandsgericht die Entscheidung seines Präsidenten mit der Begründung zurücknahm, die Gesinnung Einzelner, sofern sie sich nicht im Rahmen des Fußballverbandes äußere, reiche nicht für einen Ausschluss aus, wurde es auch beim LSB leise.
Bei der Verkündung des Verbotsbeschlusses waren Stahlknecht und Renk-Lange noch gemeinsam im Stadion des Fußballzweitligisten 1. FC Magdeburg im Pressekonferenzraum aufgetreten. Es waren Bilder, die Geschlossenheit und Entschlossenheit zeigten. Die nun aktuelle Entscheidung, Gladau in der eigenen Sportgemeinde zu belassen, kommunizierte der LSB vor wenigen Wochen dagegen kleinlaut über eine Pressemitteilung.
Der taz wollte der Verband dazu „aus terminlichen Gründen“ erst nur schriftliche Fragen beantworten. Nach dem Beharren auf einem Gespräch erklärte der LSB, dies müsse – wiederum aus Termingründen – auf 15 Minuten begrenzt bleiben, um es dann immerhin etwas großzügiger handzuhaben. Der Fußballverband Sachsen-Anhalt sagte der taz Gespräche zu, die über mehrere Tage nicht zustande kamen, um dann am Donnerstag generell mitzuteilen: „Nach der heutigen Rücksprache mit dem Vorstand möchte sich kein Vertreter äußern.“
Seit nun fast 15 Jahren ist Dennis Wesemann mit seinem Netzwerk unermüdlich dabei, Rechtsextremismus in seinem Sportumfeld von Sachsen-Anhalt zu normalisieren. Umso müder wirken immer mehr die Versuche des organisierten Sports, dem zu begegnen.
Das freiwillige Schulungsangebot zu „demokratischen Werten im Sport“, das der LSB nun Eintracht Gladau unterbreitet hat, löst etwa bei Konkurrenten des Vereins in der Kreisobereliga Jerichower Land allenfalls verbitterte Heiterkeit aus. Als „lächerlich“ haben zwei Klubtrainer das Angebot gegenüber der Lokalzeitung Volksstimme bezeichnet. Darauf angesprochen sagt LSB-Präsidentin Renk-Lange, die 1992 Olympiasiegerin im Speerwerfen wurde, der taz: „Das fände ich traurig, wenn das so wäre.“ Das Beratungsangebot sei nicht nur dafür gedacht, „sich mit demokratischen Werten zu beschäftigen, sondern sich auch damit auseinanderzusetzen, wie man einen Verein gut und zukunftsorientiert führt.“ Bislang, räumt der LSB ein, habe Eintracht Gladau noch kein Interesse an der Schulung angemeldet.
Auf den Hinweis, Wesemann hätte bereits mehrere Chancen erhalten, sein Verhalten zu ändern, sagt Renk-Lange: „Das Verfahren lief nicht gegen eine Person. Wir bewegen uns im Vereinsrecht.“ Dem LSB sei klar, dass Rechtsextremisten nach einem Vereinsverbot wieder anderswo auftauchen würden. Anders gesagt: Mit jedem neuen Verein gibt es für Fußballer wie Dennis Wesemann immer wieder eine neue Chance. Ein Trainer aus dem Jerichower Land erzählte der Volksstimme jüngst, die Jungs von Gladau hätten immer zugeschlagen und zugetreten, wenn es ihnen in den Kram gepasst hätte. „Das haben wir vor Jahren auch schon mal zu spüren bekommen, als sie noch Dornburger waren.“
Von der Eröffnung einer Kampfsportabteilung bei Eintracht Gladau, sagt Renk-Lange, habe man erst erfahren, als die Entscheidung schon getroffen gewesen sei – also zehn Monate später. Aber man werde das beobachten. „Per se können wir dem Verein nichts unterstellen. Es ist sein Recht, eine solche Abteilung zu eröffnen.“
Erstaunlich ist angesichts der knapp zwei Jahre dauernden Überprüfung, was man beim LSB nicht weiß. Dass Wesemann und etliche seiner kickenden Kameraden vom Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt seit Jahren beobachtet wurden, räumt Renk-Lange ein, habe sie nicht gewusst. Dabei war dies in etlichen Medien, auch in der taz, zu lesen.
Dass ein Mitspieler von Dennis Wesemann gerade vor dem Amtsgericht Burg wegen rechtsgerichteter Straftaten zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt wurde, ist dem LSB über seine Netzwerke nicht zugetragen worden. Ein Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus von der Beratungsstelle Miteinander e. V. bestätigte gegenüber der taz, es habe sich um politisch motivierte Straftaten gehandelt. Noch ist dieses Urteil nichts rechtskräftig.
Silke Renk-Lange erklärt etwas spitz, in den Spielberichten sei nichts davon zu lesen gewesen. Auf dem Platz hat sich der Verein zuletzt nichts zuschulden kommen lassen. Sie stellt klar: „Der organisierte Sport kann kein Sittenwächter sein, ob demokratische Werte in Deutschland auch außerhalb des Sports gelebt werden. Das müssen Gerichte klären. Natürlich gibt es bei Eintracht Gladau eine politische Haltung, die wir nicht gut finden. Wenn sich der Verein aber im Regelrahmen des Vereinsrechts bewegt, müssen wir als organisierter Sport lernen, das auszuhalten.“
Silke Renk-Lange, LSB-Präsidentin
Es stellt sich nur die Frage, ob so leicht zu unterscheiden ist, was den Sport zu interessieren hat und was nicht. Als der FSA-Präsident Stahlknecht von seinem eigenen Verbandsgericht in Sachen Gladau ausgebremst wurde, wendete er damals ein: Privates und Öffentliches sei nicht so einfach zu trennen, schon gar nicht bei Personen in verantwortungsvollen Vereinspositionen. Der jüngste Auftritt von Dennis Wesemann veranschaulicht das vielleicht ganz gut. Vergangenes Wochenende war er als Leibwächter für die extrem rechte Influencerin Michelle Gollan unterwegs. Mit dabei war nach Erkenntnissen von Miteinander e. V. zudem dessen Bruder Paul Wesemann, der ebenfalls zur Kampfsportgruppe von Eintracht Gladau zählt. Das auch mit LSB-Geldern unterstützte Kampfsporttraining im Verein ist also auch für solche Einsätze dienlich.
Gollans Geschäftsmodell beruht darauf, sich in linke Demonstrationszüge zu begeben, um Protestierende bloßzustellen. In Halle mischte sie sich anlässlich der rechten Buchmesse mit den Wesemann-Brüdern unter die linken Gegendemonstranten. Es kam zu einem kleinen Tumult. Der grüne Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel filmte das, was Dennis Wesemann gar nicht gefiel. Eine Internetaufnahme zeigt nur bruchstückhaft, wie Wesemann Striegel körperlich bedrängt und Letzterer kurzzeitig den Oberkörper beugt. Striegel sagt der taz: „Ich habe einen Schlag gegen die Brust gespürt.“ Eine Anzeige habe er erstattet. Wesemann hat wiederum Anzeige wegen Verleumdung erstattet.
Was die Szene unverkennbar deutlich macht: Selbst unter linken Demonstranten tritt Dennis Wesemann wie ein Platzhirsch auf und macht klar, dass die Dinge nach seinen Regeln zu laufen haben. LSB-Präsidentin Silke Renk-Lange will sich nicht zu dem Vorfall äußern. Sie könne nichts dazu sagen, weil sie nicht wisse, was passiert sei.
Die Beschäftigung des Landessportbunds mit Eintracht Gladau hat Sebastian Striegel mit Interesse verfolgt. Zum Urteil sagt er: „Es gibt auch im organisierten Sport in Sachsen-Anhalt viele Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen und damit die Werte des Sports offensiv verteidigen. Die Entscheidung des LSB-Präsidiums atmet diesen Geist leider nicht ausreichend.“
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