piwik no script img

Schweizer in libyscher GeiselhaftEhrenrächer Ghadhafi lenkt ein

Die zwei Schweizer Staatsbürger, die Ghadhafi aus "Rache" für seinen Sohn Hannibal inhaftierte, könnten bald freikommen.

Libyens Staatschef Gaddafi: Hat er was bei der Erziehung seines Sohnes falsch gemacht? Bild: rtr

GENF taz | In der Schweiz steigt die Hoffnung, dass die beiden Staatsbürger Rachid Hamdani und Max Göldi nach inzwischen über anderthalbjähriger Geiselhaft in Libyen bald nach Hause zurückkehren können. Ein Gericht in Tripolis sprach Hamdani am Wochenende vom Vorwurf der illegalen wirtschaftlichen Tätigkeit frei. Göldi erhielt lediglich eine geringe Geldstrafe in Höhe von umgerechnet rund 570 Euro.

Beide Schweizer waren von einem libyschen Gericht in erster Instanz auch wegen angeblicher Visavergehen verurteilt worden. Vor gut einer Woche hatte ein Berufungsgericht die Anfang Dezember erfolgte Verurteilung Hamdanis zu 16 Monaten Gefängnis in dieser Sache aufgehoben. Beobachter erwarten, dass das Berufungsgericht am Donnerstag auch die entsprechende Verurteilung Göldis kassiert. Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi hält die beiden Schweizer Geschäftsleute seit über anderthalb Jahren als Geiseln fest, um die Festnahme seines Sohnes Hannibal in Genf zu rächen.

Am 15. Juli 2008 hatte die Genfer Polizei Hannibal Gaddafi und seine Frau in einem Luxushotel der Stadt vorübergehend festgenommen, weil sie zwei ihrer Dienstboten durch Schläge und Tritte schwer misshandelt hatten. Die Misshandlungsvorwürfe wurden durch mehrere Zeugen belegt, die Verletzungen der beiden Dienstboten durch ärztliche Atteste dokumentiert. Hannibal Gaddafi kam kurzzeitig in Untersuchungshaft. Nach Hinterlegung einer Kaution von 500.000 Franken durfte das Ehepaar nach Libyen ausreisen.

Aus Rache für die "entwürdigende" sowie angeblich "unrechtmäßige" Behandlung seines Sohnes ließ Gaddafi am 19. Juli 2008 die beiden Schweizer festnehmen und verhängte ein Ausreiseverbot. Der Diktator verlangte eine offizielle Entschuldigung der Schweiz sowie Entschädigungszahlungen an seinen Sohn. Die Genfer Polizei habe Hannibal nicht festnehmen dürfen, da er mit Diplomatenpass gereist sei und unter diplomatischen Schutz nach den Regeln der Wiener Konvention gestanden habe. Beide Behauptungen sind nachweislich falsch. In den folgenden zwölf Monaten kümmerte sich die Schweizer Regierung - wenn überhaupt - nur sehr zurückhaltend und hinter den Kulissen um ihre völkerrechtswidrig festgehaltenen Staatsbürger. Das Interesse an ungestörten Wirtschaftsbeziehungen hatte Vorrang. Erst als Gaddafi der Schweizer Fluggesellschaft Swiss Air die Landerechte in Tripolis entzog und die Lieferungen der libyschen Ölgesellschaft Tamoil in die Schweiz stoppte, entstand in Bern ernsthafter Handlungsdruck.

Zunächst versuchte die Regierung, die unabhängigen Justizbehörden des Kantons Genf dazu zu nötigen, die Festnahme von Hannibal Gaddafi nachträglich als unrechtmäßig einzustufen und sich für das Verhalten der Genfer Polizei zu entschuldigen. Doch dieser Nötigungsversuch misslang. Zudem bescheinigte ein von der Regierung beauftragter Gutachter der Genfer Polizei ein rechtlich korrektes Verhalten. Daraufhin flog Finanzminister Hans-Rudolf Merz Mitte August 2009 in seiner damaligen Eigenschaft als amtierender Bundespräsident nach Tripolis und machte einen Kotau vor Gaddafi. Merz fiel den Genfer Justizbehörden in den Rücken und unterzeichnete eine schriftliche Entschuldigung für die Behandlung von Hannibal Gaddafi. Zudem sagte er Entschädigungszahlungen zu. Im Gegenzug habe Gaddafi ihm die baldige Freilassung der beiden Geiseln versprochen, verkündete Merz nach seiner Rückkehr. Dies erwies sich als Ente.

Stattdessen übertrug Gaddafi die Entscheidung über eine Freilassung der beiden Schweizer an die "unabhängigen Justizbehörden" seines Landes. Diese klagten Hamdani und Göldi dann wegen Visavergehen und unerlaubter wirtschaftlicher Tätigkeit an. Ihre Hoffnung auf die baldige Freilassung der beiden Schweizer gründen die Berner Regierung und ihre Diplomaten darauf, dass "Tripolis zunehmend unter Druck" stehe und zudem "Interesse an der Verbesserung seines internationalen Images haben" müsse. Denn auf Antrag der Schweiz lehnen die Staaten des Schengen-Raumes seit November alle Visaanträge von LibyerInnen ab. Und im April entscheidet die UN-Generalversammlung über die Kandidatur Libyens für einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat in Genf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • S
    Stefan

    Hey, was soll's? Der Mann ist gegen die USA und gegen Israel, somit ein natürlicher Verbündeter.

     

    Dumme Frage: Warum steht das Wort "Rache" in Anführungszeichen. Möchte der Autor die Unabhängigkeit der libyschen Justiz nicht in Frage stellen? Oder herrscht dort die Angst, dass eine libysche Zeitung unser Demokratie auch in Anführungsstriche setzen könnte?

     

    Sonst ein guter Artikel, in einem erstaunlichen Klartext geschrieben.

     

    Sogar das übliche Ende eines TAZ-Artikels fehlte. Normalerweise hätte dieser Artikel mit einem Hinweis auf ein aggressives Verhalten der USA oder Israels enden müssen.

     

    Sachlichkeitspunkt für den Autor - mit dem Risiko des Sympathieverlustes bei der Leserschaft.

     

    Ich finde übrigens, dass der Typ nächster UN-Generalsekretär werden sollte. Er vertritt doch die Mehrheit der Mitglieder und würde bei uns den Gedanken zur Gründung einer demokratischen Völkergemeinschaft voran treiben.