Schweizer Journalismusexperiment: Eine Sache der Öffentlichkeit
Genug gespart und boulevardisiert: Das digitale Magazin „Republik“ soll alles anders machen. Finanziert wird es durch Crowdfunding.
Dass die Printmedien, insbesondere Tageszeitungen, schon seit Jahren kriseln, ist keine Neuigkeit. Und wie die großen Medienhäuser den Qualitätsjournalismus trotz Anzeigenrückgang retten wollen, ist bekannt: sparen, Stellen streichen, Umfang und Honorare kürzen, Inhalte boulevardisieren, Kooperation mit andern Blättern, das heißt Uniformisierung. Der Werkzeugkasten, mit dem der Qualitätsjournalismus „gerettet“, das heißt langsam, aber sicher zu Tode gespart wird, sieht in ganz Europa gleich aus.
Besonders rigoros angewendet wurden die Instrumente aus dem Werkzeugkasten der Verlegerkapitalisten in der Schweiz, in der wenige Konzerne den Markt der Printmedien beherrschen – Tamedia, Ringier, NZZ – und eine sehr große Zahl von Lokalblättern mehr schlecht als recht überleben. Das lückenhafte Schweizer Arbeitsrecht und die schwachen Gewerkschaften sorgten dafür, dass eine Sparrunde auf die nächste Stellenabbaurunde folgte. Und die Spirale dreht sich weiter.
Diese Dynamik bekamen festangestellte und freie Schweizer Journalisten zu spüren. Ehemalige Qualitätsblätter wie die Zürcher Weltwoche, die Basler Zeitung, die Berner Zeitung, das St. Galler Tagblatt und besonders der Tages-Anzeiger von der Tamedia-Gruppe verloren mit der Ausdünnung der Redaktionen und der Kürzungen der Ressortetats ständig an Qualität.
Erschwerend kam in der Schweiz hinzu, dass einzelne Blätter wie die Weltwoche und die Basler Zeitung zu Spielzeugen für Milliardäre wie Tito Tettamanti und Christoph Blocher wurden. Und ein Verkauf der Tamedia-Gruppe scheiterte in letzter Minute am Widerstand der Verlegerfamilie. Die Milliardäre wollen nicht nur Kasse machen, sondern obendrein politischen Einfluss gewinnen, ist doch Blocher auch der heimliche Chef der nationalistischen Schweizerischen Volkspartei.
Guter Journalismus muss unabhängig sein
Die renommierten Journalisten Constantin Seibt, damals beim Tages-Anzeiger, und Christof Moser, einst bei der Schweiz am Sonntag, litten unter dem Spardruck und dem Qualitätsverlust ihrer Zeitungen ebenso wie unter reißerischen Titeln und seichten Themen. Auch die Zunahme der Online-Kurzfütterung des Publikums mit Empörungsgeschichten störten sie.
Die beiden kündigten ihre festen Stellen und planten minutiös ihr Projekt R. Das R steht dabei für Republik – das Onlinemagazin für die öffentliche Debatte über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, das sie gemeinsam mit einigen Kollegen gründen möchten. Ihre Grundüberlegung: Journalismus muss nicht nur intellektuell, sondern auch finanziell auf eine demokratische Basis gestellt werden. Aufgeklärte Bürger müssen „ihre“ Informationen haben wollen und sich im Gegenzug finanziell für ein Magazin engagieren, das Themen und Probleme aufgreift, die alle betreffen – von der Bankenkrise über die Energiewende bis zur Zukunft des Sozialstaats.
Demokratie ist, was alle angeht, und das braucht einen aufklärerisch-kritischen Journalismus unabhängig von Verleger- und Investorenwillkür, kurzlebigen Moden und Lifestyle-Nickeligkeiten. Aus Journalismus als biederem Geschäftsmodell wird Journalismus als res publica, als Sache der Öffentlichkeit.
Das Republik-Team verspricht, nichts zu machen „als das Wichtige. Aber dieses müssen wir groß machen, groß in der Recherche, im Blick, in der Aufmachung – und großzügig in der Haltung: So, als hätte die Schweiz Anschluss ans Meer.“ Eine kleine Redaktion soll das anspruchsvolle Projekt stemmen – nicht allein, sondern durch den Ankauf von gut recherchierten Texten aus dem Ausland.
Um das Ganze zu finanzieren, haben sich die Betreiber ein Modell ausgedacht, das Unabhängigkeit garantiert, den Leser beziehungsweise Abonnenten zum Teilhaber macht und am Markt bestehen kann. Anders als andere Start-up- und Crowdfunding-Projekte, die bei null anfangen, oft dabei stehen bleiben und schnell eingehen, sollte das Projekt R von Seibt und Moser erst an den Start gehen, wenn die Finanzen geklärt sind – Basis für Qualität in diesem Fall und nicht für betriebswirtschaftliche Spar- und Optimierungskalküle.
Investoren und Spender haben dem Projekt 3,5 Millionen Franken zugesagt, aber an die Zahlung die Bedingung geknüpft, dass die Projektbetreiber bei der potenziellen Leserschaft 750.000 Franken und 3.000 Genossenschaftsmitglieder mobilisieren. Beteiligen kann man sich mit 240 Franken pro Jahr als Genossenschafter, mit 1.000 Franken als Gönner oder mit einer unbegrenzten Summe als Spender.
Die Crowdfunding-Kampagne startete Ende April. Ihr Erfolg übertrifft alle Erwartungen: Schon am ersten Tag wurde das Finanzierungsziel erreicht, bis jetzt, 20 Tage vor Ende der Crowdfunding-Kampagne, hat das Projekt über 11.000 Genossenschaftsmitglieder gewinnen können, die mehr als 2,8 Millionen Franken zu zahlen bereit sind, um das durchdachte Projekt zum Laufen zu bringen.
Dass ausgerechnet der alte Genossenschaftsgedanke dem darbenden kapitalistisch-neoliberalen Informationsbusiness ökonomisch, intellektuell und politisch Paroli bieten könnte, ist ein ironischer Kollateralgewinn.
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