Schweizer EM-Überraschung: Schachspielers Poker
Im Duell der deutschen Gruppengegner zeigt sich der Schweizer Trainer Murat Yakin kreativ. Die Ungarn kommen lange nicht ins Spiel und verlieren.
Fast schon verwegen könnte man die Entscheidung des Schweizer Trainers Murat Yakin bezeichnen, den 27-jährigen Kwadwo Duah, der zuvor nur auf die Erfahrung von 45 Länderspielminuten zurückblicken konnte und in der bulgarischen Liga bei Ludogorez Rasgrad sowieso unter dem Radar spielt, als Ersatz für Breel Embolo zu bringen.
Der erwies sich nach langer Verletzung später dann noch als wertvoller Joker. Mit dem Einsatz von Duah, der den wichtigen Führungstreffer erzielte, das sei zur Ehrenrettung von Rossi gesagt, konnte wirklich keiner rechnen, nicht mal der Schweiz-Ghanaer. „Dass er in diesem Moment wichtig sein wird, daran hat er selbst wohl nicht gedacht“, mutmaßte Yakin nach der Partie. Drei Tage zuvor hatte er ihn erst in seine Planspiele eingeweiht. In denen spielte auch Michel Aebischer eine besondere Rolle, der Duah beim Treffer so schön in Szene gesetzt hatte.
Aebischer hat zwar schon ein paar Länderspiele mehr (21) absolviert, meist jedoch nur als Ergänzungskraft, weil der Schweizer Kader im defensiven Mittelfeld bestens besetzt ist, insbesondere mit Granit Xhaka. Yakin setzte erfolgreich auf die Flexibilität von Aebischer und versetzte ihn für dieses besondere Spiel erstmals ins linke Mittelfeld, von wo er aus nach Ballgewinn immer gefährlich in die Zentrale rückte. Dort bereitete er nicht nur ein Tor vor, sondern erzielte auch eines mit einem präzisen Schlenzer. „Ich denke, die Ungarn hatten Mühe, weil wir so variabel spielten“, urteilte er nach der Partie.
Rückenwind aus Bologna
Aebischer hat in vergangenen Saison als Stammkraft des FC Bologna, der sich überraschend in Italien für die Champions League qualifizierte, auf sich aufmerksam gemacht. Dort spielen auch Dan Ndoye und Remo Freuler. Alle drei bringen diesen Elan und diese Selbstsicherheit aus Bologna mit ins Nationalteam.
Der 49-jährige Murat Yakin, der nach einer quälenden Qualifikationsphase zuletzt eher als lähmende Kraft in der Schweiz wahrgenommen wurde, beantwortete die erstaunten Fragen der einheimischen Presse nach seinen Einfällen mit einer gewissen Genugtuung. Die Frage, ob er denn gern Poker spiele, war vielleicht noch von Skepsis getragen, weil sie eine gewisse Glückskomponente mit einpreiste. Doch Yakin ging dem Fragesteller nicht auf den Leim. Er spiele lieber Schach, erklärte er. „Beim Poker weißt du nie, was der Gegner in der Hand hat.“
Die Lage für den Strategen Yakin ist plötzlich höchst komfortabel. Mit Aebischer und Duah verfügt er nun über ein größeres Repertoire an Möglichkeiten. Beide sind mächtig beflügelt durch das Erfolgserlebnis. Insbesondere Kwadwo Duah trug seine Freude beseelt nach außen, als er zu seinem Tor befragt wurde, sagte er: „Diese Gefühle habe ich noch nie erlebt. Alles ist explodiert.“ Die beschriebenen Schwingungen haben gewiss ansteckende Kraft.
Dazu kam, dass Breel Embolo – trotz langer Verletzungspause ohne Einfindungsprobleme – ins Spiel eingliederte. Selbst seine runterrutschende Bandage konnte ihn bei seinem Treffer, nicht aus dem Konzept bringen. Er ließ sie einfach auf dem Rasen hinter sich und lupfte den Ball über Ungarns Torhüter Péter Gulácsi. Auf der Ersatzbank hätten sich alle darüber „kaputtgelacht“, berichtete Silvan Widmer. Lustige Tore können sie also auch noch erzielen, diese Schweizer. Mal sehen, ob sie auch für die Partie gegen Deutschland eine Überraschung parat haben.
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