piwik no script img

Schweiz – ein Gerücht

■ In Erwartung der neuen Zugpferde, die anderswo vom Intendanten-Karussell sprangen

„Amerika git's nid“, „La Suisse n'existe pas“: Ersteres stammt vom Schweizer Wenigdichter Peter Bichsel, letzteres stand im eidgenössischen Pavillon der Weltausstellung in Sevilla. Denn: In der Schweiz nimmt man die Postmoderne seltsam ernst. Kürzlich erzählte mir ein deutscher Theatermann und Habermasseur, wie ihm ein Zürcher zwei Stunden lang die Postmoderne als ontologische Theorie verkaufen wollte, als etwas in den Dingen selbst Gegründetes, nicht etwa als Beschreibung von Prozessen. Das trifft unser Problem recht genau. Wir haben den Franzosen die Theorie für viel Geld abgekauft und den eloquenten Deutschen, die erfinderisch geklaut haben, hängen wir eh immer mit offenen Mündern an den Lippen, die Faust bleibt derweil im Sack. Jetzt hocken wir auf dieser geerdeten Theorie und glauben tatsächlich, uns gäbe es gar nicht. Schön blöd.

Auch auf dem Theater hockt man auf dem knappen Kies und wartet Nihilismus-trunken auf Christoph Marthaler im Schauspielhaus Zürich, auf Crescentia Dünsser und Otto Kukla im Neumarkt vielleicht, oder gleich auf „Gono ... Godot ... Gobo ... Pause ... Sie wissen ja, wen ich meine, von dem Ihre Zukunft abhängt.“ Abhängen in der Warteschlaufe und ein bißchen Spekulation, wie's denn sein wird, wenn er kommt. Oder sie kommt: Barbara Mundel, vormals Dramaturgin an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, mischt ab nächster Spielzeit das Luzerner Theater auf. Die Freie Szene ist in Aufregung, überall grassieren Erzählungen von Vorsprechen, Versprechen, auch Versprechern bei der umtriebigen neuen Direktorin, die aber wohlweislich die Katze noch nicht aus dem Sack läßt.

Die Rückkehr der Ontologie: In Luzerns und Zürichs Theatern IST die Schweiz Gerücht. Während die meisten faul in dieser süßen Nicht- Existenz verschnaufen, reiten andere auf dem Intendanten-Karussell durch ganz Deutschland. Volker Hesse aus dem Hunsrück, noch Ko-Direktor des erfolgreichen, kleinen Theaters am Neumarkt in Zürich („InSekten“, „Top Dogs“, „King Kongs Töchter“), winkt wie kein Zweiter der bewundernden, umstehenden deutschen Kritikerschar zu. Kollege Stephan Müller kommt nach der Inszenierung von Handkes „Ritt über den Bodensee“ im Neumarkt in den Stallungen der Wiener Burg unter, Hesse dreht noch munter Runden. Die Tour führt ihn nach Köln, wo er gerade Schnitzlers „Weites Land“ ausmißt. Bochum und Frankfurt stehen weiter auf dem Plan, sind aber ganz und gar prozessuale, nichtontologische Gerüchte. „Ich bringe mich nicht ins Gespräch, ich werde ins Gespräch gebracht“, betont Hesse, der auch seine Nennung für die Langhoff-Nachfolge im Deutschen Theater als absurd bezeichnete. Sache aber ist: Hesse steht mit dem Berliner Senat in Verhandlung, in der Hauptstadt ein Neumarkt-Modell hochzuziehen. Der Tagesspiegel weiß schon in der Frage an Hesse, was das heißt: „Theater als soziales Laboratorium, Aufführungen als experimentelle Endtdeckungsreisen in die eigene Zeit und Geschichte.“

Das kleine, putzige (und subventionsarme!) Neumarkt in der noch putzigeren Schweiz, das in letzter Zeit der deutschen Großkritik nur noch als Projektionsfläche diente, soll nun im neuen Berlin laut Hesse „die vielen verrückten Schicksale und Prozesse in dieser Stadt“ (tages-)spiegeln? Endlich wieder Schauspieler in Berlin, die über den Inszenierungsprozeß hinaus am Theater beteiligt werden? Peter Steinsche Mitbestimmung? Hesse nennt das lieber ein „Maximum an Mündigkeit“. Nur: Die einzige Parallele zum Stadtheiligen Stein ist das nicht, es sollen auch Orte im Gespräch sein, wo Steins Aura in den Mauern schlummert. Hier kommentiert Hesse nichts mehr. Und wir hocken wieder auf nichts als einem Gerücht. Tobi Müller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen