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Schweine gehen an die Börse

In Hannover wird heute Deutschlands erste Warenterminbörse offiziell eröffnet. Doch ob der Computerhandel genügend Spekulanten anzieht, ist äußerst fraglich  ■ Von Hermannus Pfeiffer

Hamburg (taz) – Eine neue Ära beginnt: Deutschlands erste Warenterminbörse wird heute in Hannover eröffnet. „Vier Kartoffelsorten gehen ins Rennen“, verspricht der Vorstand. Und auch Schweinehälften werden gehandelt. Pünktlich um 11.30 Uhr löst Ministerpräsident Gerhard Schröder den wiederholt verschobenen Startschuß für die Warenterminbörse Hannover AG (WTB) aus – gerade noch rechtzeitig vor dem sonntäglichen Wahltermin. Begonnen wird allerdings mit einer Simulationsphase: Die Börsenteilnehmer haben die Chance, sich mit dem System vertraut zu machen. „Der tatsächliche Handelsbeginn wird frühzeitig bekannt gegeben“, heißt es.

Mit Terminverträgen können sich Bauern und Spekulanten gegen einen Preisverfall bis zur nächsten Ernte absichern. Das Termin- Prinzip: Preis und Menge werden fixiert, Abnahme und Lieferung erfolgen (viel) später. So kann der Landwirt sicher kalkulieren. „Darum haben wir die Gründung vorangetrieben“, sagt Michael Lohse, Sprecher des Deutschen Bauernverbands.

Die Agrarfunktionäre reagierten auf die Öffnung der Märkte und den Wegfall vieler europäischer Richtpreise. Ein wichtiger Grund ist auch die Konzentration in der Lebensmittelindustrie. Inzwischen hat die Abhängigkeit von einigen wenigen Industrie-Nestlés und Handels-Metros selbst die deutschen Großagrarier verunsichert. Jetzt wird sich der Abnehmerkreis um internationale Warenterminhändler, Finanzmakler, institutionelle Anleger, Banken und risikofreudige Privatinvestoren erweitern, so das Kalkül des Bauernverbands.

Doch die Schwierigkeit, genügend Investoren für die Warenspekulation zu finden, verursachte eine einjährige Startverzögerung. Schon im Januar 1997 hatte die niedersächsische Landesregierung die Vorgaben der Bundesregierung aufgenommen und die Genehmigung erteilt. Noch ist offen, ob die Spekulanten lieber wie bisher in Amsterdam, London und Paris investieren – wo sich auch deutsche Großbauern absichern – oder nach Hannover wechseln.

Zurückhaltend geben sich weiterhin einige große Banken. Bislang wurden Warentermingeschäfte von den meisten deutschen Geldinstituten nicht einmal vermittelt. Obendrein fehlt es an qualifizierten Brokern und Finanzberatern.

„Die Warenterminbörse Hannover wird eine vollcomputerisierte Börse sein“, erklärt Marketingleiterin Andrea Balzer. Anders als beim traditionellen Parketthandel in Chicago und bei den drei europäischen Konkurrenten findet das Geschäft nicht in einem Saal statt. Käufer und Verkäufer bleiben anonym. Eigentümerin der WTB ist zu 57 Prozent eine Beteiligungsgesellschaft der Agrarindustrie. Weitere Anteile halten die Niedersächsische Börse und die Hanseatische Börse in Hamburg. Die rechtlich und fachlich selbständige Clearingbank, die den Handel kaufmännisch abwickelt, wird von Commerzbank, Norddeutscher Landesbank sowie Vereins- und Westbank getragen.

Weder Schweinehälften noch Kartoffeln werden also in Hannover je zu sehen sein. Und auch die später geplanten Kontrakte über Weizen, Altpapier und Energie bleiben wohl meist virtuell. Denn Warenterminkontrakte werden typischerweise nicht real ausgeführt: Zuvor werden sie durch neue Zeitgeschäfte „glattgestellt“. Zur Abrechnung kommt lediglich die Preisdifferenz zwischen dem ersten und dem zweiten Abschluß. Solche Praxis kann einen virtuellen Viehberg anhäufen, der zusammenstürzt, wenn nicht genügend Gegengeschäfte vorhanden sind: Mangelt es an Käufern, bleibt der Schweineverkäufer auf seinen frischen Terminkontrakten sitzen. Dann müßten wirklich Schweinehälften geliefert werden – die möglicherweise bis dahin nur als Terminkontrakt existiert haben.

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