piwik no script img

Schwarzbuch Deutsche BahnGlobal handeln, lokal versagen

Das "Schwarzbuch Deutsche Bahn" rechnet mit der Ära Mehdorn ab und warnt vor einem Börsengang. Zwei Frontal21-Autoren haben ein Buch über neuere Bahn-Skandale geschrieben.

Bahn-Logo am Berliner Hauptbahnhof. Bild: Martin HaaseCC-BY-SA

Bahnfahren kann wirklich entspannt sein: Man sitzt im wohl temperierten, nur mäßig vollen ICE, breitet seine Zeitung auf einem der Tische in der Mitte des Großraumabteils aus und sieht, hin und wieder von der Lektüre aufblickend, wenig bewohnte Landschaft vorüberfliegen - und ist, kaum ist die Zeitung ausgelesen, schon angekommen auf einer Strecke, für die die Bahn früher Stunden brauchte, etwa von Berlin nach Leipzig.

Bahnfahren kann auch nerven: etwa im vollen, engen und verspäteten Regionalzug von Berlin Richtung Ostsee, der ein verkappter Fernzug ist, oder in der seit Monaten überfüllten Berliner S-Bahn, die der Mutterkonzern Deutsche Bahn systematisch heruntergewirtschaftet hat. Dann ahnt man, warum das "Schwarzbuch Deutsche Bahn", das der Bertelsmann-Verlag in diesem Jahr auf den Markt gebracht hat, eine lesenswerte Publikation ist - und man die Zeitungslektüre getrost aufs Allernötigste beschränken kann.

Auf 300 Seiten fassen die Autoren Christian Esser und Astrid Randerath, die für das ZDF-Magazin "Frontal 21" arbeiten, die Bahnskandale der letzten Jahre - die Ära von Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn - zusammen: die Abwicklung des erfolgreichen Interregios, die Planung von fragwürdigen Prestigeprojekten wie Stuttgart 21 und den Neubau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Nürnberg-Erfurt, die Sicherheitsprobleme von ICE-Achsen, die Bespitzelung der eigenen Mitarbeiter, das Ausquetschen der Berliner S-Bahn. Gezeichnet wird das Bild eines staatseigenen Unternehmens, das sich lieber in der Weltgeschichte - Stichwort: "globaler Logistikkonzern" - herumtreibt und seine Bilanzen für den glücklicherweise vorerst gescheiterten Börsengang - "eine beispiellose Verschleuderung von Volksvermögen" - aufhübscht, anstatt sich um das Naheliegende zu kümmern: für einen attraktiven, bezahlbaren und vor allem zuverlässigen Zugverkehr im ganzen Land zu sorgen.

Bild: taz

Dieser Text ist der Sonntaz entnommen, er findet sich auch in der gedruckten taz vom 13./14. Februar 2010.

Schwarzbuch

Christian Esser und Astrid Randerath: "Schwarzbuch Deutsche Bahn". C. Bertelsmann, München 2010, ISBN: 3570100367, 304 Seiten, 19,95 Euro

In der Zitronenpresse

Beispiel Berliner S-Bahn: "Um die hohen Renditeforderungen des Mutterkonzerns DB AB zu erfüllen, haben die dienstbeflissenen S-Bahn-Manager ihren Laden ausgepresst wie eine Zitrone - auf Kosten von Sicherheit und Service", so die Autoren.

Eine Rekordumsatzrendite von 16,2 Prozent und ein Betriebsergebnis von knapp 98 Millionen Euro habe die Berliner S-Bahn der DB AG 2009 bescheren sollen, wie interne Zielvorgaben des Konzerns belegten; bis 2016 sollte der Gewinn auf 125 Millionen Euro steigen. Um dies zu erreichen, sei massiv Personal sowie bei der Instandhaltung und Wartung der Züge gespart worden. Mit dem bekannten Ergebnis: Nach dem Bruch eines Rades an einem mit Fahrgästen besetzten Zug am 1. Mai 2009, bei dem nur durch Zufall niemand verletzt wurde, und nicht eingehaltenen zusätzlichen Kontrollen der Züge zog das Eisenbahnbundesamt im vergangenen Sommer die Notbremse und einen Großteil der Wagenflotte aus dem Verkehr. Seitdem herrscht im Berliner S-Bahn-Betrieb Ausnahmezustand, und eine Rückkehr zum normalen Fahrplan ist nicht absehbar.

"Schuld an dem Desaster hat allein der Börsengang", zitieren die Autoren einen Berliner Lokführer. "Überall musste gespart werden, vom Ohrstöpsel in der Werkstatt bis hin zu den Prüfintervallen bei den Zügen." Manchmal seien auch Signalanlagen zugewuchert, weil die Bäume nicht mehr so häufig geschnitten würden. "Dann ist man froh, wenn das Laub im Herbst fällt, dass man sie wieder sehen kann." Und eine Bahnsteigaufsicht ergänzt: "Wir haben schon seit Jahren vor den schlechten Zuständen gewarnt. Keiner wollte es wahrhaben. Es musste folglich zu dem jetzigen Desaster kommen."

Das ist eine Stärke des Buches: Beschäftigte der Bahn, zu ihrem Schutz zumeist anonymisiert, kommen darin zu Wort. Und sie erzählen aus ihrem Alltag: wie sie als Lokführer in Thermoskannen pinkeln, weil sie keine Zeit haben, aufs Klo zu gehen; wie die Zugbistro-Mitarbeiterinnen auf Trinkgelder angewiesen und Fehlbeträge in der Kasse aus eigener Tasche begleichen müssen; wie ihre Arbeit als Schaffner von Undervover-Kontrolleuren überprüft wird; wie sie als Fahrdienstleiter mit falsch konstruierten Fahrplänen, die Verzögerungen durch Bauarbeiten ignorieren, zurechtkommen müssen.

Der Staat und der Gewinn

Am Ende warnen die Autoren: "Der Börsengang kommt - auch wenn ihn keiner will." Auf lange Sicht werde die Bahn in jedem Fall an die Börse gehen, alles andere sei pure Wertvernichtung, habe der neue Bahnchef Rüdiger Grube klargemacht.

Was passieren könne, wenn private Investoren ein Mitspracherecht in der Führung eines ehemaligen Staatskonzerns bekommen, sehe man in England und Neuseeland. "Das jahrelange Auspressen der Unternehmen hatte den Aktionären satte Gewinne gebracht - auf Kosten von Arbeitsbedingungen, Infrastruktur und Sicherheit."

Dafür haben die Autoren eine einfache Erklärung parat, die erfreulicherweise nicht moralinsauer ist: "Fairerweise muss man sagen, dass Investoren nicht so handeln, weil sie schlechte Menschen sind. Sie sind der Maximierung ihrer Gewinne verpflichtet und nicht dem Allgemeinwohl." Aber es gebe eine andere Instanz: den Staat, der nach wie vor hundertprozentiger Eigentümer der Deutschen Bahn ist. "Er muss nicht zum Wohle des Unternehmens handeln, sondern zum Wohle seiner Bürger. Und die sollten umfassenden Zugang zu Mobilität haben."

Die politische Auseinandersetzung um die Zukunft der Eisenbahn in Deutschland ist noch längst nicht zu Ende, zumal sich auch die oppositionelle SPD von ihren Börsenplänen verabschiedet hat. Wer Fakten und Argumente sucht, um sich an dieser Debatte zu beteiligen, wird in diesem flüssig geschriebenen Buch viele finden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

9 Kommentare

 / 
  • J
    jooni

    @peterchen:

    natürlich machen die kleinen privatbahnen zur zeit noch einen tollen eindruck. immerhin sind die züge gerade erst gekauft worden, die leute egrade erst eingestellt worden, also noch motiviert etc. mal sehen, wie das in 5 jahren aussieht.

    zum anderen können es sich die privaten anbieter eben auch leisten, ihren service so vergleichsweise günstig anzubieten. immerhin muss ihnen die so schlechte db ja die bedingungen (schienennetz etc.) zu witzlos schlechten preisen überlassen.

    und natürlich gibt es gute und schlechte staatsbahnen. das hängt ganz einfach vom jeweiligen land ab und wie wichtig ihm diese mobile grundversorgung seiner bevölkerung ist.

  • G
    grefel

    @Peterchen

    du weißt aber schon dass deine "privatbahn" keine ist, sondern eine stark subventionierte zugbestellung von land, kreisen und komunen.

     

    und dann wird ein schuh draus: wenn der staat eine saubere ausschreibung macht (was er viel zu oft nicht hinkriegt) bewerben sich verschiedene unternehmen drauf. wer klug ist oder seine mitarbeiter gut ausbeuten kann kriegt den zuschlag.

    bei den privatbahnen ist es oft letzteres.

     

    dein zugverkehr hat mir freier marktwirtschaft genau nichts zu tun, sehr viel aber mit staatlichem handeln.

  • K
    Katzenfreund

    Zitat von Peterchen: "Welchen Gewinn werden denn Investoren und Aktienbesitzer haben, wenn das Unternehmen wie die Berliner S-Bahn nach ein oder zwei Jahren wegen Abwirtschaftung nur noch Verluste macht?"

     

    Ganz einfach:

     

    Siehe Neuseeland: im Jahre 1993 für 400 Millionen NZ$ (202 Millionen EUR) verkauft.

    Die Regierung hat seitdem rund 200 Millionen NZ$ Steuermittel in bisher aufgeschobene Instandhaltungsmaßnahmen sowie in die Kapitalaufstockung über die New Zealand Railways Corporation investiert.

    Da sich die neuseeländische Regierung auf der einen und Toll Rail auf der anderen Seite nicht auf Nutzungsgebühren für das verstaatlichte Schienennetz einigen konnte und der Staat Jahr für Jahr Millionen an Neuseeland-Dollar für den Unterhalt aufbringen musste, entschied sich die Regierung 2008 dazu, den Bahnbetrieb von Toll Rail für 665 Millionen NZ$ (336 Millionen EUR) zum 1. Juli zurückzukaufen. Der neuseeländische Finanzminister Michael Cullen erklärte: "Der Verkauf der staatlichen Bahn zu Beginn der 90er Jahre und der danach folgende Niedergang des Vermögens war eine schmerzliche Lektion für Neuseeland".

     

    So geht das!!!

  • P
    Peterchen

    @RedTab

    Hm, merkwürdig, in meiner Heimatregion hatte die ach so dem Gemeinwohl verpflichtete Staatsbahn vor etlichen Jahren den Nahverkehr quasi komplett zum erliegen gebracht - ein oder zwei Züge am Tag auf Nebenstrecken, fürchterliche Waggons, extreme Wartezeiten beim Umsteigen weil Anschlusszüge fünf Minuten vorher abfuhren ... das ganze Abwirtschaftungsprogramm.

    Dann kam eine private Nahverkehrsbahn - und siehe da: seither gibt es in dieser Provinz einen stündlichen, pünktlichen Nebenstreckenverkehr in ordentlichen Triebwägen. Dieses verdammte Gewinninteresse der Eigentümer sorgt doch glatt dafür dass diese ein Angebot liefern wofür die Leute zu zahlen bereit sind - so wie Fluglinienbetreiber, Gastwirte, Einzelhändler ...

     

    Ja, es mag die schlechten Bsp wie England geben, aber ich bin fest davon überzeugt dass es da mehr Gründe für die Katastrophe gibt als nur das Gewinninteresse der Eigentümer. Es gibt nämlich auch gute Bsp für private Bahnen, genauso wie es gute und schlechte Bsp für staatliche Bahnen gibt.

  • R
    RedTab

    @Peterchen

    natürlich ist der einzige Grund dafür dass privatisierte Bahnen das Gewinninteresse der Eigentümer ist. Und bei der Bahn wäre dies sogar noch besonders einfach, denn eigentlich ist das Betreiben einer Bahn schon eine Staatsaufgabe. Und deshalb wir die Bahn einfach wieder verstaatlicht wenn sie runtergewirtschaftet ist. Bis dahin haben sich die privaten Eigentümer die fetten Gewinne eingestrichen und der Staat kann dann mit Steuergeldern die Karre aus dem Dreck ziehen. Man braucht nur nach Grossbritannien zu schauen, wo das ja schon ein paar mal geschehen ist.

  • V
    Vielbahnfahrer

    Es wird wirklich allerhöchste Zeit, dass jemand diesen Wahn von der Privatisierung aller Lebensbereiche ausbremst und diese Pest, die sich Neoliberalismus schimpft, wenigstens vor wichtigen Staatsaufgaben wie eben Bürgermobilität, Grundversorgung mit Wasser und Strom sowie dem Straßenbau halt machen lässt!

     

    Ich denke, dass die sog. Finanzkrise (die nichts ist als das mutwillige "Bankrotten" aller westlichen Staaten durch rücksichtslose und keiner Regulierung unterworfenen Finanzhasardeure) und das derzeitige S-Bahndesaster (das dann wenigstens auch teilweise mal die Herren und Damen Volksvertreter selbst mit ausbaden müssen) diesem Irrsinn etwas Einhalt bieten wird.

     

    Vielleicht schalten unsere gewählten Volksvertreter dann mal wieder ihr Gehirn ein, das sie in den letzten 20 Jahren bei diesem Thema abschalteten.

    Vielleicht hören diese Leute, die für das Volk und nicht für einige Lobby handeln sollen, dann wieder auf ihr Gewissen und nicht den Einflüsterungen von Lobbykraten aus dem neoliberalen Umfeld, die dieses Land seit Ende der 80er Jahre zunehmend zu einer Lobbykratie machten.

     

    Es ist auch absolut nicht einzusehen, dass "Volkseigentum" wie die Deutsche Bahn und das Autobahnnetz, welches über Jahrzehnte mit Steuergeldern aufgebaut wurde, nun gierigen internationalen Finanzkonglomeraten zugänglich gemacht wird!

  • R
    reAktionator

    Der Crash war abzusehen, denn schon seit vielen Jahren kritisieren Fahrgastverbände wie Pro Bahn die Selbstzerfleischung des Schienenmonopolisten. Gut, dass das allmählich auch im Gesamtzusammenhang in den Massenmedien ankommt.

  • P
    Peterchen

    Es ist leicht bei der Bahn-Tragödie auf die Privatisierung, den Börsengang, die Gewinnmaximierung für die Investoren als Mutter allen Übels einzuprügeln ... aber letztlich greift das zu kurz.

    Welchen Gewinn werden denn Investoren und Aktienbesitzer haben, wenn das Unternehmen wie die Berliner S-Bahn nach ein oder zwei Jahren wegen Abwirtschaftung nur noch Verluste macht? Das hat ganz offensichtlich nichts mit Gewinnmaximierung zu tun.

    Es wird gesagt die privaten Eigentümer wären ja nicht dem Allgemeinwohl verpflichtet ... das stimmt zwar erstmal, doch ist ja das allgemeine Wohlwollen das Geschäftsmodell von Eisenbahnbetreibern. Ohne Leute die mit der Bahn fahren, kein Gewinn. Und ohne Zufriedenheit mit dem Angebot fährt keiner mit der Bahn.

    Auch gab es einmal Zeiten in denen private Firmen und Aktiengesellschaften extrem hohe Qualitätsarbeit ablieferten ("Made in Germany") - auch im Eisenbahnbereich. Also die Formel "privat= schlecht" ist nicht zwangsläufig gültig.

     

    Die Gründe das privatisierte Bahnen totale Katastrophen sind müssen anderswo als beim Gewinninteresse der privaten Eigentümer liegen.

  • V
    vantast

    Vielleicht ist das nur der Anfang. Strom ist schon privat, Gas auch, bald kommt das private Wasser. Dann kann man weiterdenken und die Bundeswehr privatisieren, dann die Bundesministerien, Westerwelle ist schon privatisiert, der Gesundheitsminister auch.

    Ein Aberglaube, daß Privatisierungen den Bürgern nützen, das Gegenteil ist der Fall. Wo sie doch half, war das Beamtentum und die Bürokratie derart verlottert, daß ein Neuanfang her mußte. Man hätte die Post auch mit Angestellten und mit Mitbestimmung machen können, sie hätte durchaus erfolgreich sein können.