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Schwarz-roter SparhaushaltWeniger Geld für schulmüde Kids

Die Plätze beim „Praxislernen“ werden fast halbiert. Berliner Linke und Lehrer befürchten, das führe zu einem Anstieg der Schulabbrecher.

Das Projekt „Praxislernen“ hilft Kindern, die Schule nicht abkönnen. Auf dem Foto rennt einfach eine Schülerin über ihren Schulhof Foto: Arne Dedert/dpa

BERLIN taz | Die lange Liste der sozialen Projekte, die der Sparpolitik des Senats zum Opfer fallen, wird eine Zeile länger: Wie jetzt durch eine Anfrage der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus bekannt wurde, wird das Projekt „Praxislernen“ im kommenden Schuljahr um fast die Hälfte zusammengestrichen. Die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Franziska Brychcy, warnt, damit steige die Gefahr von Schuldistanz und mehr Jugendlichen ohne Abschluss. „Diese fatale Kürzung auf dem Rücken der bedürftigsten Schü­le­r*in­nen muss umgehend zurückgenommen werden“, fordert sie.

Das Projekt „Praxislernen“ ist ein Bildungsangebot für Schüler, deren Abschluss gefährdet ist, weil sie so viel schwänzen. Sie lernen „praxisorientiert“ an ein bis drei Tagen die Woche an außerschulischen Lernorten, dabei werden Lerninhalte der Schule mit der Arbeitswelt in Verbindung gebracht.

Bei diesen Kooperationen mit freien Trägern kürzt die Bildungsverwaltung im Zuge der Haushaltskonsolidierungen in diesem Jahr 1,2 Millionen Euro, so die Antwort der Verwaltung auf Brychcys Anfrage. Für 2025 bleiben damit 3 Millionen Euro übrig, von denen mehr als zwei Drittel bis zu den Sommerferien ausgegeben sein werden. Im nächsten Schuljahr werden daher voraussichtlich von aktuell 2.257 Plätzen rund 1.000 entfallen, heißt es in den Antworten. Zugleich hat eine Bedarfsabfrage ergeben, dass die Schulen für das kommende Schuljahr 356 zusätzliche Plätze bräuchten, heißt es in der Antwort.

Brychcy weist darauf hin, dass von den Kürzungen besonders Bezirke betroffen sind, „die ohnehin mit riesigen Herausforderungen zu kämpfen haben“. Laut den vorgelegten Zahlen besuchen aktuell in Marzahn-Hellersdorf (208), Mitte (181) und Neukölln (159) die meisten Schü­ler eine Praxislernklasse, während es in Charlottenburg-Wilmersdorf nur 15 Schü­ler sind.

Gymnasien nicht betroffen

Die Kürzungen seien auch deswegen besonders unsozial, so die Linken-Abgeordnete, weil davon „ausschließlich Schü­le­r*in­nen an Integrierte Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen betroffen“ seien. Zwar gebe Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) öffentlich vor, sich für Schü­le­r*in­nen ohne Schulabschluss einzusetzen. Nun aber halbiere sie mit dem Projekt auch die „Bildungschancen von Jugendlichen, die oft multiple Herausforderungen haben“.

Der Sprecher der Bildungsverwaltung wies auf taz-Anfrage darauf hin, dass die Kürzungen durch verschiedene Maßnahmen, wie etwa betriebliche Praktika, kompensiert werden könnten. Auch die Einführung des 11. Pflichtschuljahrs ziele in diese Richtung.

Doch auch die Vereinigung der Schulleitungen der Gemeinschaftsschulen befürchtet eine Zunahme bei den Schulabbrüchen. Ihr Vorstand Robert Giese, Schulleiter der Fritz-Karsen-Schule, wurde im Tagesspiegel mit der Einschätzung zitiert, dass die Einsparung „eine extreme Benachteiligung“ jener Jugendlichen sei, „die genau so ein Angebot für ihren Schulabschluss benötigen“.

Derweil ruft die Initiative „Schule muss anders“, die bundesweit für ein „gerechtes, zukunftsfähiges und inklusives Bildungssystem“ kämpft, für Dienstagabend zu einer Kundgebung gegen Kürzungen im Bildungsbereich auf. Treffpunkt ist um 18 Uhr vor der Otto-Hahn-Schule in Neukölln, wo zur selben Zeit auch Günther-Wünsch zu Gast ist – vermutlich, um über Kürzungen zu reden. Die Schule musste laut Initiative gerade drei Sozialarbeiter entlassen.

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