Schwarz-gelbe Einigung bei Gesundheit: Kopfpauschale kommt 2011
Union und FDP wollen ab 2011 allein den Versicherten die Kostenteuerung im Gesundheitswesen aufbürden. Das Mittel der Koalition: Die Kopfpauschale. Dafür gibt's Kritik.
Die 70 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland müssen sich auf deutliche Kostensteigerungen gefasst machen. Am Freitag verkündeten die Chefverhandler der drei Koalitionsparteien zum Thema Gesundheit, von 2011 an sollten Krankenkassen einen einkommensunabhängigen Beitrag von ihren Mitgliedern erheben dürfen. Den Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung will die künftige Regierung hingegen einfrieren. Opposition und Sozialverbände laufen dagegen Sturm und sprechen vom Ende der solidarischen Finanzierung des Gesundheitssystems.
Im Entwurf für den Koalitionsvertrag haben sich CDU, CSU und FDP auf eine Formulierung geeinigt, die einerseits einen Systemwechsel anzeigt, gleichzeitig aber manches offen lässt: "Das bestehende Ausgleichssystem" in der gesetzlichen Krankenversicherung werde "langfristig" überführt "in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden". Der Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung, derzeit 7 Prozent vom Bruttolohn des Arbeitnehmers, soll langfristig nicht steigen, sagte FDP-Verhandlungsführer Philipp Rösler.
Die "einkommensunabhängigen Beiträge" kämen voraussichtlich ab 2011, sagte die CDU-Verhandlungsführerin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des Kompromisses. Diese Beiträge ähneln der "Kopfpauschale", für die die Union im Bundestagswahlkampf 2005 warb. Im Unions-Wahlprogramm dieses Jahres hingegen kam die Forderung nicht mehr vor.
Die CSU war gegen die Kopfpauschale gewesen. Zum Erfolg deklarierte ihre Unterhändlerin Barbara Stamm, dass das erwartete Defizit der Kassen in Höhe von 7,5 Milliarden Euro größtenteils über Steuergelder beglichen werden soll: "Wir haben erreicht, dass dieses Defizit nicht allein von Versicherten bezahlt wird."
Eine von der Regierung eingesetzte Kommission soll im kommenden Jahr über die Einzelheiten des Großvorhabens beraten. So lange bleibt alles beim Alten: Der Gesundheitsfonds besteht weiter, ebenso die Begrenzung eines möglichen Zusatzbeitrags bei einem Prozent des Bruttoeinkommens.
Die Kommission soll offen gebliebene Fragen klären. Beispielsweise: Wie soll der "soziale Ausgleich" aussehen, der finanzielle Härten für Geringverdiener verhindern soll? Wessen Kassenbeiträge mit wie viel Steuergeld aufgefüllt werden sollen, ist noch unklar. Fest steht laut FDP-Verhandler Rösler bislang nur, einen Ausgleich werde es "vor allem über das Steuersystem geben müssen".
Die SPD vermutet dahinter ein Täuschungsmanöver: "Vor der NRW-Wahl wollen die schwarz-gelben Koalitionäre die Bevölkerung im Unklaren über Details der künftigen zusätzlichen Belastungen der Versicherten lassen", urteilen die SPD-Gesundheitsexpertinnen Elke Ferner und Carola Reimann. Den geplanten Kostenausgleich für Geringverdiener halten die Grünen für Blendwerk: "Wie der angesichts der Rekordverschuldung bezahlt werden soll, weiß noch niemand", kritisiert die Gesundheitsexpertin der Grünen-Fraktion, Birgitt Bender. "Damit wird der Krankenversicherungsschutz von Millionen von Menschen zur Disposition gestellt."
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken, Martina Bunge, urteilt über die geplante Steuerfinanzierung: "Geringverdiener werden von selbstbewussten Versicherten zu Bittstellern beim Staat." Ähnliches befürchtet der Verband der Ersatzkassen (VdEK): "Dadurch werden viele Versicherte demnächst zu Sozialleistungsempfängern", sagt VdEK-Chef Thomas Ballast.
Sozialverbände sehen in den Koalitionsplänen eine tiefgreifende Wende: "Die Einführung eines Prämiensystems ab 2011 ist ein Systembruch mit dem Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung", kritisierte der Präsident des Sozial- und Wohlfahrtsverbands Volkssolidarität, Gunnar Winkler. "Gleiche Beiträge bei unterschiedlichen Einkommen sind ungerecht", sagte Winkler. "Niedrigverdiener, Rentner und Arbeitslose mit Besserverdienenden gleichzustellen, bedeutet, den schwächeren Teil der Bevölkerung in Wirklichkeit stärker zu belasten."
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