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Schwarz-Rot und Tempo 30 in BerlinEs bräuchte die große Lösung

Kommentar von Claudius Prößer

Wenn zwei Dutzend Tempo-30-Abschnitte auf Hauptstraßen wegfallen, ist das falsch – es macht das Problem insgesamt aber nur wenig schlimmer.

Am Potsdamer Platz muss übrigens auch weiter langsam gefahren werden Foto: IMAGO / Sabine Gudath

F ührt der Streit um Tempo 30 Schwarz-Rot in die Krise? Wohl kaum. Vielmehr wird die SPD das Sommerloch nutzen, um ihr verkehrspolitisches Profil ein bisschen zu schärfen. Nach der Vertagung der Senatsentscheidung (s. Kasten) wird es noch ein paar Gesprächsrunden geben. Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) wird beteuern, dass die Prüfung der Abschnitte von Hauptverkehrsstraßen, auf denen nun wieder Tempo 50 gelten soll, mit großer Ernsthaftigkeit erfolgt ist. Vielleicht werden die SozialdemokratInnen genügend Druck machen, dass Bonde ihre Entscheidung für zwei oder drei Strecken revidiert, vielleicht auch nicht. Die Koalition wird daran jedenfalls nicht zerbrechen.

Betrachtet man die umstrittenen Abschnitte genauer, sind tatsächlich viele darunter, bei denen auch das SPD-Argument mit der novellierten Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht greifen dürfte. Die lässt neuerdings die Anordnung von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen dort zu, wo sich – direkt an der Straße wohlgemerkt – Kitas, Krankenhäuser oder Spielplätze befinden, aber auch „hochfrequentierte Schulwege“, die zu Schulen in der Nähe führen. Letzteres ist schwammig genug, um von der Verwaltung als unbegründet abgetan zu werden, allerdings könnten Gerichtsverfahren hier irgendwann für Klarheit sorgen.

Insgesamt muss man sagen: Natürlich wäre es gut für die Sicherheit aller, wenn Tempo 30 auf stark frequentierten Straßen wie der Torstraße, der Hermannstraße oder dem Mariendorfer Damm erhalten bliebe. Am Gesamtszenario des Berliner Straßenverkehrs ändert es allerdings herzlich wenig, wenn diese Geschwindigkeitsbeschränkungen wegfallen – leider. Denn aufs große Ganze gesehen handelt es sich um Stückwerk, das kaum ins Gewicht fällt. Ein Gamechanger waren diese Tempo­limits nie.

Tempo 50 in der Wartschleife

Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) sieht den zusätzlichen Abstimmungsbedarf der SPD-Fraktion im Senat zur Abschaffung ­bestimmter Tempo-30-Abschnitte an Hauptstraßen nach eigenen Angaben gelassen. „Das nervt mich nicht“, sagte sie am Dienstag dem RBB. Sie komme dem Gesprächsbedarf ihres Koalitionspartners gerne nach.

Ursprünglich hatte die CDU-Politikerin für die Senatssitzung am Dienstag den Beschluss eines neuen Planes zur Luftreinhaltung angekündigt. Dieser Plan beinhaltet die Aufhebung von bis zu 25 Tempo-30-Abschnitten an Hauptstraßen, die vor einigen Jahren zur Luftreinhaltung angeordnet worden waren. Da die Luft nun besser sei, könne das Tempolimit nicht mehr damit begründet werden, so Bonde. Regelgeschwindigkeit in Ortschaften sei Tempo 50.

Weiterhin will die SPD noch Fragen zur Prüfung hochfrequentierter Schulwege beantwortet haben. An Straßen mit hohem Schülerverkehr könnte das Tempo­limit bleiben. Ihre Verwaltung habe geschaut, wie die Kinder laufen und wo die Schulwege entlangführten, so die Verkehrssenatorin. Jeder müsse davon überzeugt sein, dass die Prüfung ordentlich durchgeführt wurde. (dpa)

Wovon die Stadt wirklich profitieren würde, wäre ein flächendeckendes Tempo-30-Limit: weniger Lärm, weniger Aggression, weniger schwere Unfälle. Dass das prinzipiell in einer Metropole geht, zeigt Paris, wo nur noch auf wenigen Boulevards 50 km/h erlaubt sind. Dass es in Berlin konkret nicht geht, dafür sorgt die bundesweit gültige StVO, aus der kein Bundesland und keine Kommune ausscheren können.

Natürlich bleibt der mühsame Kampf um einzelne Geschwindigkeitsbeschränkungen weiterhin richtig – wenn etwa der Verein FUSS e. V. in Reaktion auf das gerade erst in Lichtenberg von einem Autofahrer getötete Kleinkind fordert, rund um 90 Zebrastreifen Tempo 30 anzuordnen. Senatorin Bonde wisse genau, dass viele Unfälle wegen des geringeren Bremswegs bei 30 km/h gar nicht erst passierten, so FUSS, sie handele aber, „als hätte sie von Unfallphysik noch nie gehört“.

Selbst wenn die Senatsverwaltung hier ein Einsehen hätte (was unwahrscheinlich genug ist): Eigentlich bräuchte Berlin eine große Lösung. Bis auf Weiteres ist die aber nicht Sicht.

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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