Schwarz-Grün macht weiter: Moorburgs langer Schatten
Hamburgs Grüne wollen weiter mit der CDU regieren. Die Genehmigung für den Kohlemeiler sei unumgänglich gewesen. Betreiber Vattenfall will derweil gegen Umweltauflagen klagen.
Nach zehn Minuten war die Tendenz klar: Schon der unerwartet kräftige Beifall für die Eröffnungsrede von Umweltsenatorin Anja Hajduk ließ ahnen, dass die Hamburger Grünen die Koalition mit der CDU im Stadtstaat an der Elbe nicht aufkündigen würden. Drei Stunden und etwa 30 Reden später war es offiziell: Mit einer Mehrheit von über 90 Prozent votierte die Mitgliederversammlung der Grün-Alternativen Liste (GAL) am Donnerstagabend dafür, die schwarz-grüne Koalition fortzusetzen. Der Bau des Kohlekraftwerks Moorburg sei kein Grund, so die weit überwiegende Ansicht, das erst vor fünf Monaten geschlossene Bündnis platzen zu lassen.
Geradezu prophetische Gaben hatte dabei der grüne Fraktionschef in der Bürgerschaft, Jens Kerstan, unter Beweis gestellt. Ein Ausstieg der GAL aus der Regierung würde "nur einen freuen - Vattenfall", sagte er: "Die warten doch nur diese Versammlung ab, bevor sie vor Gericht ziehen."
Genau dies kündigte der Energiekonzern umgehend am Freitagnachmittag an. Die von der Umweltbehörde verhängten ökologischen Auflagen für den Kohlemeiler seien "außergewöhnlich restriktiv", klagte Vorstandsmitglied Rainer Schubach. Der Genehmigungsbescheid widerspreche in Teilen "der Rechtslage und üblichen Genehmigungspraxis". Da offenbar ein "effektiver Kraftwerksbetrieb weitgehend verhindert" werden solle, müsse Vattenfall die Bescheide "einer gerichtlichen Überprüfung zuführen".
Damit bestätigte der Konzern nachträglich die Aussagen, welche Hajduk und andere Spitzengrüne vor den 350 anwesenden Mitgliedern auf dem Sonderparteitag in mannigfachen Variationen durchdekliniert hatten: Wir wollten Moorburg verhindern, wir konnten es juristisch nicht, aber viel Freude werden die mit ihrem Meiler nicht haben. Sie sei "enttäuscht vom Ergebnis", assistierte die Bürgerschaftsabgeordnete Jenny Weggen, nicht aber "von unseren Leuten, die alles rausgeholt haben".
Mit der Genehmigung für den Bau des Kohlekraftwerks seien "unsere Ziele nicht erreicht worden", hatte Hajduk zum Auftakt der Versammlung eingeräumt. Aufgrund eines Beschlusses des Hamburger Oberverwaltungsgerichts von Ende August über eine Detailfrage des Konflikts mit Vattenfall sei die Betriebserlaubnis jedoch "unumgänglich" gewesen. Bis dahin, beharrte Hajduk, sei "die Entscheidung in der Sache vollkommen offen gewesen". Nachdem "alle rechtlichen Möglichkeiten bis zum Ende ausgelotet waren", habe sie aber die Genehmigung erteilen müssen: "Das ist eine juristische Niederlage gegen Vattenfall, aber keine politische."
Deshalb sei es notwendig, jetzt "den Klimaschutz nicht den Falschen" zu überlassen: "Wenn wir uns jetzt vom Acker machen, hilft das dem Klima überhaupt nichts", sagte Hajduk. Und beschwor die Basis, sich nicht verunsichern zu lassen; andere mit der CDU im Koalitionsvertrag vereinbarte Projekte - etwa wie die Einführung der Stadtbahn oder einer Umweltzone - "laufen planmäßig".
Sie sei "ernsthaft überzeugt gewesen", Moorburg verhindern zu können, beschwor Christa Goetsch, im Wahlkampf Spitzenkandidatin und inzwischen Zweite Bürgermeisterin, die Versammlung. Deshalb könne von einer "Lüge" keine Rede sein: "Wir waren zu optimistisch", aber selbst bei einer absoluten Mehrheit der GAL "müssten wir uns an Recht und Gesetz halten". Die Genehmigung sei "von keiner politischen Mehrheit zu verhindern", bekräftigte auch Parteichefin Katharina Fegebank.
Für die Kritiker in der GAL hingegen ging es in erster Linie um die Glaubwürdigkeit ihrer Partei. Mit der Betriebsgenehmigung sei "ein zentrales grünes Wahlversprechen gebrochen" worden, hieß es in einem Antrag, der die Beendigung der Koalition mit der CDU forderte.
Mit Moorburg sei "der Kompromiss dieses Koalitionsvertrages aus der Balance geraten", befand Lars Andersen, einer der Wortführer der Ausstiegsbefürworter. Sollte das Bündnis mit der Union fortgesetzt werden, "fügen wir der grünen Bewegung bundesweit Schaden zu", befürchtete er. Künftig würde den Grünen in allen Bundesländern Moorburg um die Ohren gehauen werden: "Deshalb ein Ende mit Schrecken jetzt."
Dass die Mitgliederversammlung dies mit überwältigender Mehrheit ablehnte, nannte Hamburgs CDU-Chef Michael Freytag ein "Dokument politischer Reife". Ein solches Lob "müsste den Grünen peinlich sein", spottete prompt SPD-Fraktionschef Michael Neumann. Er sagte voraus, dass die CDU "sich weiter auf Kosten ihres Koalitionspartners profilieren" werde.
Vor weiteren Niederlagen warnten die Umweltverbände BUND, Nabu und Robin Wood die Hamburger Grünen: Nach dem nächsten "faulen Kompromiss" wäre deren politische Glaubwürdigkeit "endgültig am Boden".
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