Schwangerschaftsabbruch in Argentinien: Liberalisierung scheint möglich
Hunderttausende illegale Abtreibungen werden jährlich in Argentinien durchgeführt. Nun stimmt das Parlament über eine Lockerung des Verbots ab.
Doch auch die GegnerInnen aus dem konservativen und katholischen Spektrum machen mobil. Ihr Emblem ist ein hellblaues Kopftuch. Zwar sind ihre „Märsche für das Leben“ weniger gut besucht, ihr Engagement in den sozialen Medien jedoch umso erfolgreicher. Dort sammelten sie in wenigen Tagen über 400.000 Unterschriften gegen eine Lockerung, die sie vor wenigen Tagen dem Kongress übergaben.
Ihr Diskurs über das ungeborene Leben und das Beharren auf den Status quo prallt jedoch gegen den realen Alltag, der Tausende von ungewollt Schwangeren, zur illegalen Abtreibung zwingt. Dabei führten von den seit 2011 bis 2016 gerade einmal 167 angezeigten Fällen einer gesetzwidrigen Abtreibung nur zwei zu einer Verurteilung, teilte die staatliche Ombudsbehörde Defensoría General de la Nación vor wenigen Tagen mit. Das legt nahe, dass Behörden, Justiz und Polizei entweder wegschauen oder ebenso die Hand aufhalten wie Kurpfuscher und Ärzte. Aber auch, dass Abtreibungen längst zum gesellschaftlichen Konsens gehören.
In allen Meinungsumfragen liegt die Zustimmung der Bevölkerung für eine Lockerung über 50 Prozent. Die Chancen auf die Anpassung der Gesetze an die Realität stehen nicht schlecht, ist aber keinesfalls sicher. Quer durch die Parteien haben bereits 112 MandatsträgerInnen ihre Zustimmung bekanntgeben. Ihnen stehen 114 erklärte Nein-Stimmen gegenüber. Gerungen wird um die noch 31 Unentschlossenen, die am Ende den Ausschlag geben werden.
Tausende tote Frauen
Sechsmal hatte es der Kongress zuvor abgelehnt, sich mit der Liberalisierung zu befassen. Im März wurde sie endlich angenommen, nachdem Ex-Präsidentin und Abtreibungsgegnerin Cristina Kirchner ihre eigenen Leute nicht mehr unter Druck setzen konnte.
Abgestimmt wird nun darüber, ob jede Frau zukünftig selbst über einen Abbruch während der ersten 14 Wochen der Schwangerschaft entscheiden kann. Danach soll eine Abtreibung im Fall einer Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben der Frau und bei schwerwiegenden Missbildungen beim Fötus erlaubt sein. In allen Fällen sollen die Kosten von den staatlichen Gesundheitseinrichtungen oder den öffentlichen und privaten Krankenkassen getragen werden.
Gegenwärtig ist ein Abbruch nur in zwei Ausnahmefällen erlaubt: Wenn das Leben der Frau bedroht ist oder, wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist. In beiden Fällen muss eine richterliche Bestätigung eingeholt werden. Diese Bestimmung gilt seit Anfang der 1920er Jahre. Jeder andere Abbruch kann mit bis zu vier Jahren Haft bestraft werden.
Die Dunkelziffer der sogenannten illegalen Abtreibungen liegt nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 300.000 und 500.000 im Jahr. Nach Angaben der „Kampagne für das Recht auf eine legale, sichere und kostenlose Abtreibung“ sind seit 1983 über 3.000 Frauen an den Folgen eines klandestinen Abbruchs gestorben.
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