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„Schutzmächte müssen sich auch so verhalten“

■ ÖTV für mehr Mitbestimmungsrechte von zivilen Beschäftigten bei den Alliierten / Besatzungsrecht statt Tarif- und Arbeitsrecht / Briefe an Diepgen und die drei westlichen Stadtkommandanten / Rabiate Kündigungspraxis gegenüber länger Krankgeschriebenen

Einen erneuten Vorstoß zur Verbesserung der Rechtsstellung der bei den drei Westalliierten in Berlin beschäftigten knapp 11.000 zivilen Arbeiter und Angestellten hat jetzt die ÖTV unternommen. In ihrem Bemühen zur Durchsetzung der bislang fehlenden gewerkschaftlichen Mitbestimmungsrechte bat die Gewerkschaft den Regierenden Bürgermeister schriftlich um seine Unterstützung. Gleichzeitig wurden den drei Stadtkommandanten Vorschläge unterbreitet, wie die Rechtsstellung der bei ihnen tätigen Betriebsräte durch die Änderung einer Alliierten Anordnung von 1980 im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes verbessert werden könnte. Wie es in dem Brief an Diepgen heißt, will die ÖTV die Fraktionen des Abgeordnetenhauses um ihre politische Unterstützung ersuchen.

Die Vertreter der Gewerkschaftsabteilung „Betriebe und Verwaltungen der Alliierten Schutzmächte“ klagten, daß Beschäftigte und GewerkschafterInnen bei den Alliierten trotz fleißiger ÖTV-Kärrnerarbeit nichts zu Lachen hätten. Zwar dürften die Gewerkschaften seit 1980 selbst oder über den Finanzsenator Wünsche vortragen, doch ließen die Beschützer nach wie vor nicht das deutsche Tarif-, Arbeits und Betriebsverfassungsrecht gelten. Nicht einmal die von den sogenannten Stationierungsstreitkräften im Bundesgebiet eingeräumten begrenzten Mitbestimmungsrechte gelten hier. Während die alliierten Streitkräfte im Bund zu Tarifverhandlungen hochrangige Vertreter schickten, säße in Berlin auf alliierte Weisung nur der Leiter des dem Finanzsenator nachgeordneten Landesamtes für Besatzungslasten am Verhandlungstisch.

Besonders mißlich fand es der zuständige ÖTV -Abteilungsgeschäftsführer Grenkowitz gestern auch, daß die Alliierten - Arbeitsgerichtsurteile souverän mißachtend ihre zivilen Beschäftigten aus nicht näher begründeten Sicherheitsbedenken heraus beliebig heuern und feuern könnten. Grenkowitz nannte es „pikant“, daß der deutsche Steuerzahler via Besatzungslasten-Haushalt in mehreren Fällen der Nichtwiedereinstellung ersatzweise hohe Abfindungsbeträge blechen durfte. Der ÖTV-Sprecher forderte von den Alliierten in diesem Zusammenhang die Anerkennung des deutschen Arbeitsrechts und die Offenlegung der oft nicht stichhaltigen Entlassungsgründe vor Gericht.

Daneben beschwerten sich die ÖTVler über das von den Alliierten gegenüber krankgeschriebenen Beschäftigten betriebene „Geschäft mit der Angst“. Besonders länger krankgeschriebenen Hausfrauen, Teilzeitkräften und Beschäftigten in ungelernten Berufen würde wegen Krankheit schnell gekündigt, in der Probezeit grundsätzlich.

Vor dem Hintergrund der eingerichteten alliierten Beschwerdestelle und der Bemühungen von Diepgen um mehr deutsche Rechte gab der ÖTV-Bezirksvorsitzende Lange indes dem ÖTV-Vorstoß gute Chancen. Nicht von ungefähr rede man bei der ÖTV schon lange nicht mehr von Besatzungs-, sondern von „Schutzmächten“. Nur müßten sich die Alliierten „endlich auch so verhalten“.

Thomas Knauf

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