Schutzgelderpressungen in Peru: Brutale Erpresser, korrupte Polizei
Nach dem Mord an einem Musiker hat die Präsidentin in Lima den Ausnahmezustand verhängt. Das hilft nur nicht gegen allgegenwärtige Schutzgeldforderungen.

Danach wieder ein Anruf. „Wenn Du nicht 1.000 Euro bezahlst, tun wir Deiner Familie etwas an“. Francisco erschrak, zahlte umgerechnet 120 Euro auf das angegebene Konto ein. Doch die Anrufe wiederholten sich, er erhielt Fotos von verstümmelten Menschen. Er zahlte weitere 120 Euro, bis er schließlich zur Polizei ging.
In den letzten fünf Jahren haben sich die Anzeigen wegen Schutzgelderpressungen in Peru mindestens verdreifacht. Die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher, weil die meisten Opfer es aus Angst vor Repressalien nicht wagen, Anzeige zu erstatten.
Brutalität und Schusswaffen
Schutzgelderpressungen sind in Peru nicht neu. Neu ist die Brutalität und der Einsatz von Schusswaffen. „Früher haben dir die Diebe einfach die Handtasche entrissen, heute bringen sie dich dafür um“, sagt Carlos Choque, ein Textilunternehmer aus Lima.
Am 16. März fiel ihnen Carlos Flores, der beliebte Sänger der Band „Armonia 10“, zum Opfer. Die Tanzband war um halb drei Uhr nachts in ihrem Bus unterwegs zu einem weiteren Auftritt, als zwei Motorradfahrer den Bus beschossen. Carlos Flores wurde von einer Kugel getroffen und verstarb im nächsten Krankenhaus. Grund des Angriffs sind vermutlich Schutzgelderpressungen, denen die Band nicht nachkam.
Die peruanische Präsidentin Dina Boluarte rief daraufhin am Mittwoch, wieder einmal, für 30 Tage den Ausnahmezustand aus und schickte das Militär auf die Straßen, in der Hoffnung, damit ihr ramponiertes Image aufzubessern. Bei Umfragen rangieren ihre Zustimmungswerte um die fünf Prozent, nur der Kongress – von dem die Präsidentin ohne eigene Fraktion abhängig ist – ist noch unbeliebter.
Dabei hatten gerade die Parlamentarier mit ihrem Gesetz, dass Verdächtige erst verhaftet werden dürfen, wenn sie in flagranti erwischt werden, den Kriminellen einen großen Gefallen getan. Am 10. März mussten sie das Gesetz wieder zurücknehmen.
Erpresser arbeiten mit Internet, die Polizei hat nicht mal Computer
Die Ausrufung des Notstands hat bisher wenig gebracht, um die Kriminalität einzudämmen. Unter anderem, weil die wichtigsten Werkzeuge der Schutzgelderpresser heute Internet und Handy sind.
„Wir haben nicht mal einen Computer, wie sollen wir da Ihre Anzeige aufnehmen“, sagte man Francisco Huaman auf der örtlichen Polizeistation, als er wegen der Schutzgelderpressung Anzeige erstatten wollte. Als er es im Hauptbüro der Kriminalpolizei versuchte, wurde er von einem Büro ins andere geschickt. Auch dort wollte niemand seine Anzeige aufnehmen.
Tatsächlich ist die Polizei eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Zum einen, weil es zu wenige Polizisten gibt und diese schlecht ausgestattet sind. 155 Polizisten kommen in Peru auf 100.000 Einwohner*innen, 20 weniger als vier Jahre zuvor. Über die Hälfte der Polizeiautos sind nicht einsatzfähig, nur ein Viertel der Kommissariate verfügt über Radiofunk, nur vier Prozent haben GPS.
Korruption bei der Polizei
Dazu kommt das Problem der staatlichen Korruption. Vor Kurzem deckten Investigativjournalist*innen auf, dass viele bei Festnahmen konfiszierte Waffen aus Polizeibeständen stammten. Für die Aufnahme in die Polizeischule verlangen einige Offiziere von den Anwärter*innen bis zu 20.000 Euro „Aufnahmegeld“. Das Gehalt eines peruanischen Polizisten von umgerechnet 600 Euro reicht nicht, um diese oft von Familienangehörigen geschulterte Investition legal wieder reinzuholen.
Einfacher, als ihre Polizei aufzurüsten und auszumisten, ist es für Boluarte, Soldaten auf die Straße zu schicken, oder die Ausländer – sprich die rund 1,5 Millionen venezolanischen Flüchtlinge und Migranten – für die Lage verantwortlich zu machen.
Ganz von der Hand zu weisen ist der Hinweis auf die Venezolaner im Zusammenhang mit der Zunahme von Kriminalität nicht: „Bei 1,5 Millionen Zugewanderten sind Vertreter*innen der gesamten venezolanischen Gesellschaft eingewandert, positive wie negative Elemente“, sagt Victor Quinteros, ein auf Kriminalität und interne Sicherheit spezialisierter Jurist. Nachgewiesen ist, dass venezolanische Verbrecherbanden wie der „Tren de Aragua“ die Migration nutzten, um ihren Einflussbereich international auszuweiten. „Aber die peruanischen Banden haben schnell von ihnen gelernt, die Pistole abzudrücken“, so Quinteros.
Erst Beziehungen helfen
Der Erpresser von Francisco Huaman, da ist er sich sicher, sprach mit peruanischem Akzent. Nach seinen vergeblichen Versuchen, Hilfe von der Polizei zu erhalten, schaltete Franciscos Vater schließlich einen alten Bekannten ein, der ein hohes Tier bei der Polizei war. Augenblicklich änderte sich das polizeiliche Verhalten: Vier Beamte in Zivil nahmen seine Anzeige auf, verfolgten die Handynummer, von der der Anruf kam, und die Kontonummer, auf die Francisco eingezahlt hatte. Er solle sein Handy wechseln und nur noch bekannte Nummern annehmen, rieten sie ihm. Francisco Huaman hat seitdem keine Drohungen mehr erhalten.
Doch die wenigsten Peruaner haben Kontakte zu hohen Polizisten. Die Opfer von Schutzgelderpressungen sind kleine Händlerinnen, Straßenverkäufer, Busfahrer. Jeder, der ein noch so kleines Geschäft betreibt, muss damit rechnen, bedroht zu werden. 2.000 Tante-Emma-Läden haben aus Angst im letzten Jahr geschlossen, unzählige Marktstände zugemacht.
„Um die Kriminalität wirksam zu bekämpfen, braucht es die Zusammenarbeit aller staatlichen Stellen, sowie politischen Willen“, sagt Victor Quinteros. Im Moment ist Peru weit davon entfernt.
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