: Schumpetersche Rezepte
Die IG-Metall-Studie zur Zukunft der Ruhr ■ K O M M E N T A R E
Warum stirbt das Revier? Warum wächst ökonomisch in dem größten Ballungsgebiet der BRD wenig, zumindest aber nicht genug nach? Warum konnte der schleichende Tod, die frappierende Abkopplung vom Bundestrend nicht gestoppt werden? Die Antworten darauf fielen bisher immer entsprechend der jeweiligen Lagerzugehörigheit höchst traditionell aus. Während die Linke die Kapitallogik geißelte und für den Montansektor die Vergesellschaftung zum Programm erhob, rief die andere Seite nach Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen, erscholl der Ruf nach der politischen Wende. Auf diese Reflexe war immer Verlaß.
Ausgerechnet die IG-Metall schert da nun aus. Was die Gewerkschaft auf fast 600 Seiten jetzt an Analysen und Therapien für den kranken „Pott“ anbietet, muß man wohl sensationell nennen. Herausgekommen ist in der Substanz ein Plädoyer für den unternehmenden Unternehmer, für jene Spezies also, von denen der Ökonomie-Papst Schumpeter einst die fortwährende Modernisierung erhoffte. Im Ruhrgebiet kommt dieser Unternehmertyp - bedingt durch die dort vorhandenen zentralisierten Montankonzerne, so sagt die Studie - selten vor. Weil aber das „unzureichende Innovationspotential“ sich als das „zentrale Problem der Metallindustrie an der Ruhr“ herausstellt, müssen, so folgert die Studie konsequent, die Arbeitnehmer selbst aktiv werden.
Arbeiter, die sich den Kopf der Kapitalisten zerbrechen, anstatt diese im Klassenkampf niederzuringen, das ist so ziemlich das ärgste Schreckgespenst für jeden aufrechten linken Betriebskämpfer. Und dennoch werden sie mitmachen mitmachen müssen. Denn es sind ja gerade die linken Aktivisten in den Betrieben, die in den letzten Jahren immer dann „unternehmerische Funktionen“ übernahmen und mit Alternativvorschlägen aus dem Busch kamen, wenn „ihre“ Bude kurz vor der Pleite stand. Nicht bis zum Ende zu warten, sondern schon im Vorfeld aktiv zu werden ist deshalb nur konsequent.
Gewerkschaftspolitisch wirbelt eine solche Perspektive alles durcheinander. Sie beinhaltet für die betrieblichen Funktionäre einerseits die Chance, in die unternehmerische Entscheidungsautonomie eingreifen zu können - im Zweifelsfall über Kämpfe a la Rheinhausen -, sie birgt aber andererseits die Gefahr, für schlichte Profitmaximierungsstrategien in Haftung genommen zu werden. In der Praxis würde eine solche Perspektive den Abschied von hehren, ohnehin nur in den Schubladen verwahrten Programmen
-wie etwa dem stahlpolitischen Programm der IGM, das die Forderung nach Vergesellschaftung beinhaltet - besiegeln. Politisch zeigt diese Studie noch etwas anderes: die öffentlichen Gefechte zwischen Lafontaine und Steinkühler entbehren jeder Substanz. Der Zug fährt in Richtung „ökologische Marktwirtschaft“ und auf der Lok sind beide vereint. Mitunter entsteht ein Streit um den besten Fensterplatz - mehr aber auch nicht.
Walter Jakobs
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