Schulspeise: Küche ohne Stern
Das Mittagessen-Catering an Grundschulen wird neu ausgeschrieben. Lehrer und Schüler probieren sich durch die Angebote. Die taz hat mitgekostet.
Dreimal saisonale Gemüsepfanne mit Reis, dreimal Gemüsegulasch mit Kartoffeln, dreimal herbstlicher Obstsalat mit Quarkhaube, dreimal grüner Salat mit Joghurtdressing, uff. Die Arbeit eines Verkosters verlangt Selbstdisziplin und einen robusten Magen. Es ist also durchaus ein Akt der Selbstlosigkeit, sich auf den kulinarisch waghalsigen Trip zum Probeessen der Schul-Caterer zu begeben. Im Interesse der Kinder natürlich, die vor gut einem Jahr nach Einnahme ihrer Schulspeisung aus dem Hause Sodexo reihenweise Brechdurchfall bekommen hatten.
Danach machte SPD-Schulsenatorin Sandra Scheeeres die Essenausgabe zur Chefköchinsache. Nicht mehr der billigste, sondern der beste Caterer soll künftig das Essen liefern. Und welcher das ist, dürfen die Schulen mitentscheiden.
Alle Grundschulen haben inzwischen Mittagessenausschüsse gebildet, die wiederum eine Testjury kürten. Der gehören neben Eltern, Lehrern und Erziehern auch die Betroffenen an – die Schüler. Als das Kind über sein Glück informiert wird, ist die Reaktion gebremst: „Muss ich ne Kotztüte mitnehmen?“, fragt es, während sich die Jury am vergangenen Freitag zur zentralen Testverkostung der Lichtenberger Schulen begibt.
Das Votum der Jury fließt bis zu 50 Prozent in die Gesamtbewertung ein. Daher findet das Probeessen aufwändig abgeschirmt in einer entlegenen Schule in Hohenschönhausen statt. Eine aufs Abwimmeln gedrillte Mitarbeiterin des Bezirksamts lässt nur in eine zum Speisesaal umfunktionierte Aula, wer von der Schulleitung angemeldet wurde. Eine andere Bezirksamtsfrau schärft der Jury am Ende noch mal ein: „Falls da draußen die Presse rumlungert, verraten Sie nichts, das wäre der Super-GAU.“ Gott sei dank lungert die Presse nicht draußen im Kalten rum, sie sitzt im Speisesaal und lässt sich auftischen.
Drei Anbieter wetteifern an diesem Tag um die Gunst der Jury: die Gastronomische Versorgungsleistungen GmbH (GVL ), die Sodexo GmbH und die Dienstleistungs- und Service GmbH (DLS). Gekocht haben alle dasselbe: Gemüsepfanne und Gulasch. Die Testjury muss Aussehen, Geruch, Mundgefühl und Geschmack bewerten.
„Bei uns muss keener verhungern“, tönt eine bunt beschürzte Servicekraft von Anbieter 1*, als sie die Teller auf den Tisch scheppert. Tatsächlich: Die Probeportionen sind reichlich, doch Aussehen, Geruch und Geschmack verdienen bestenfalls eine Drei. Die Soße ist eine dieser von ambitionierten Hobbyköchen verhöhnten Mehlschwitzen und der saisonale Obstsalat aus Konserven zusammengestellt. Das Gemüse fühlt sich im Mund ganz knackig an, dagegen haben die Reiskörner die Konsistenz von Styroporkügelchen, und die Fleischstücke vom Gulasch sind gewohnt großwürflig und schwer zerkaubar. Ein ganz solides Schulessen also.
Pro Gericht haben die Testesser zehn Minuten Zeit. An diese Vorgabe gemahnen eine auf dem Tisch tickende Eieruhr und eine junge Frau, auf deren Brust das Schild „Begleitservice“ prangt. Sie ist Auszubildende des Bezirksamts Lichtenberg und will, wie sie bemerkt, übernommen werden. Daher achtet sie streng darauf, dass sich die Testjury an die Regeln hält. Das heißt: keine Gespräche über das Essen, kein Kontakt zu den Essenanbietern und die Bewertungsbögen bitte verdeckt ausfüllen. Nach exakt zwanzig Minuten wechselt die Testjury geschlossen den Tisch.
Vor dem Tresen von Anbieter 2 wirbeln gleich doppelt so viele Mitarbeiter wie bei den anderen herum, zwei Herren in Anzügen überwachen persönlich jeden Handgriff des Buffetpersonals und stellen bei Bedarf auch rasch noch ein fehlendes Obstschälchen auf den Tisch.
Die Musterteller sind liebevoll mit Rosmarin- und Majoransträußchen garniert, das Fleisch ist handgeschnitten und das Gemüse so knackig, als wäre es frisch vom Schneidebrettchen gesprungen und würde nicht seit Stunden in einer Warmhalteschale schwitzen. „Das Essen ist doch gepimpt, das kommt doch so niemals in der Schule an“, knurrt ein Jurymitglied widerwillig kauend.
Der Mittagessenausschuss der Schule hat sich in der Woche zuvor schon mit den Umsetzungskonzepten der drei Anbieter auseinandergesetzt, über Warmhaltezeiten und Bioanteil gefachsimpelt und nach sachlicher Diskussion („Wenn ick hier lese, dass die die Saucen selbst anrühren, kommt’s mir schon hoch“) entschieden, Anbieter 2 aus der Schule zu verbannen. Da solche vorgefassten Meinungen die Verkostung nicht beeinflussen sollen, hat nicht nur jedes Jurymitglied eine Unbefangenheitserklärung zu unterschreiben. Am Nebentisch hat auch eine Ersatzjury Platz genommen, die parallel isst und ihr Votum abgibt. Sollten die Voten von Schul- und Ersatzjury zu weit auseinanderliegen, greift automatisch das Urteil der Ersatzjury. Der gehören sämtliche Auszubildende an, die das Bezirksamt Lichtenberg zusammentreiben konnte. Sicher wollen sie alle übernommen werden und sind entsprechend unbestechlich.
Anbieter 2 würde sicher geschmacklich das Rennen machen, wären da nicht die Zucchini. Die Zucchinistücke hinterlassen eindeutig einen bitteren Nachgeschmack, der einem den ganzen Gulasch vergällt.
Also schafft es am Ende Anbieter Nummer 3, mit einer Gemüsepfanne ohne Zucchini und mit nach Kartoffeln schmeckenden Kartoffeln die Mägen und Herzen der Verkoster für sich zu gewinnen. Der aus allen Kategorien gebildete Mittelwert ist am Ende der höchste.
Die anwesenden Schüler meinen dagegen, das erste Gericht Marke „ehrliches Schulessen“ habe ihnen am besten geschmeckt. Aber das Urteil der Minderjährigen zählt sowieso nur beratend. Wo kämen wir da hin, wenn die Kinder selbst entscheiden dürften. Gegessen wird, was auf den Tisch kommt!
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