Schulpolitik: Freie Schulen arbeiten sich vor
Schulgründungen boomen - trotz hoher finanzieller Hürden. Die wollen Grüne und FDP abbauen: Bildungsgutscheine könnten die Freien finanziell mit den Staatlichen gleichstellen. Die GEW befürchtet Nachteile für sozial Schwache.
m Oktober 2007 hat der Verein Netzwerk Spielkultur den Antrag bei der Schulverwaltung eingereicht: Der Verein will eine eigene Schule in freier Trägerschaft gründen. "Die staatlichen Schulen erziehen Kinder nicht unbedingt zu glücklichen, kreativen und friedlichen Menschen", sagt Initiator Mike Weimann. Die Demokratische Schule soll es besser machen: Die Kinder werden nicht nur selbst bestimmen, was und wie sie lernen wollen. Auch beim Budget und der Neueinstellung von Lehrern sollen sie mitreden dürfen. Vorausgesetzt, die Senatsverwaltung stimmt dem Antrag zu. Vorausgesetzt, ein Gebäude wird gefunden. Vorausgesetzt, das nötige Geld kommt zusammen.
Freie Schulen sind in. Während die Gesamtzahl der Schüler sinkt, steigt sie an freien Schulen an und liegt jetzt bei knapp 23.000. Das sind 7 Prozent aller Schüler. Derzeit sind 101 von 744 Schulen in Berlin in freier Trägerschaft. Weitere 35 Gründungsanträge liegen beim Schulsenat vor. Die FDP will diese Tendenz befördern, indem private dieselben Finanzmittel bekommen sollen wie staatliche Schulen. Denn mehr Wettbewerb fördere die Qualität.
Die Gründung einer freien Schule ist beschwerlich. Dennoch werden immer neue gegründet. 35 Anträge liegen dem Bildungssenator derzeit vor. Seit einigen Jahren steigt die Anzahl der Schülerinnen, die eine sogenannte Privatschule besuchen, kontinuierlich an.
Martin Heuer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband glaubt sogar, dass noch viel mehr als die gegenwärtigen 7 Prozent der Schüler auf Privatschulen gehen würden. Als größter freier Träger von Kitas erhält der Verband sehr viele Anfragen von Eltern. Doch der Paritätische hält sich mit Neugründungen zurück. Hauptgrund ist die schwierige Finanzierung. Denn Schulen in freier Trägerschaft müssen sich in den ersten fünf Jahren nach ihrer Gründung selbst tragen. Danach schießt der Staat 93 Prozent der Personalkosten zu. Den Rest und alle zusätzlichen Ausgaben müssen die Schulen selbst aufbringen - zumeist über monatliches Schulgeld, das zwischen 100 und 700 Euro liegt.
Zusammen mit Wirtschaftsverbänden hat der Paritätische Wohlfahrtsverband daher im vergangenen Jahr ein System von Bildungsgutscheinen vorgestellt, das den freien Schulen die gleiche finanzielle Ausstattung zusichern würde wie den staatlichen Schulen. Die Idee eines Gutscheins, den die Eltern in der Schule ihrer Wahl einlösen, hat die FDP als politisches Projekt übernommen.
Auch die Grünen sind Bildungsgutscheinen gegenüber aufgeschlossen. Bedingung sei allerdings, dass es finanzielle Anreize gebe, Kinder aus sozial benachteiligten und Migrantenfamilien aufzunehmen, erläutert Bildungsexperte Özcan Mutlu. "Sonst suchen sich die Schulen die Crème de la Crème aus".
Die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Rosemarie Seggelke, ist skeptisch. "Gerechter wird es auf keinen Fall." Gerade die bildungsfernen Schichten könnten das Nachsehen haben. Dennoch hält sie die steigende Nachfrage nach Privatschulen für nachvollziehbar. "Das sollte den Senat anspornen, mehr in staatliche Schulen zu investieren."
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