Schulleiter über Schulbrandbrief in Berlin: "Keine alltägliche Gewalt"
Gibt es eine neue Rütli-Schule? Wieder liegt dem Berliner Senat ein Brandbrief von Lehrern aus Berlin-Neukölln vor. Der Leiter der Heinrich-Mann-Schule wiegelt ab.
taz: Herr Kemmer, sie sind der neue Leiter der Heinrich-Mann-Schule. Ihre Kollegen hatten sich in einem Brief an den Senat gewandt und sich über gewalttätige Schüler beklagt. Hat Berlin jetzt die nächste Rütli-Schule?
Rudolf Kemmer: Nein, das haben die Medien übertrieben dargestellt. Es war kein öffentlicher Notruf, den die Lehrer im Juni verfasst haben, sondern eine interne Auseinandersetzung zwischen Schule und Senat. Das Kollegium war mit dem Kräften am Ende, einem wurde Gewalt von einem Schüler angedroht - es gibt aber keine alltägliche Gewalt.
In dem Brief war von Schülern die Rede, die in Aufgänge urinieren. Stimmt das?
Ja, aber es wurde ja nicht täglich in das Treppenhaus uriniert - das sind Ausnahmen. In vielen Familien unserer Schüler gibt es soziale Probleme, viele Eltern sind arbeitslos. Durch die doppelten Jahrgänge hatten wir eine zusätzliche Klasse bekommen, mit Kindern vom Hermannplatz. Das ist schon eine Herausforderung.
Dazu kommt die fragwürdige Praxis, dass Schüler, die immer wieder Probleme machen, von einer Schule zur nächsten "strafversetzt" werden, anstatt sich mehr um sie zu kümmern. Dadurch haben wir sehr schwierige Schüler bekommen. Und allgemein wird der Ton der Schüler von Jahr zu Jahr rauer.
In Berlin wurde die Hauptschule abgeschafft und mit der Realschule zusammengelegt. Sollte das nicht die Probleme lösen?
Die Heinrich-Mann-Schule war auch vorher schon eine Gesamtschule. Es wurden im vergangenen Jahr aber einige neue Konzepte eingeführt wie die "Lernbüros", in denen Schüler zwei Stunden am Tag selbstständig lernen können - das hat die ganze Kraft der Lehrer gefordert. Wir waren jedoch organisatorisch schlecht aufgestellt, die Schule konnte nur kommissarisch geleitet werden. Zwei der vier Sozialarbeiter waren krank.
Das klappt jetzt alles besser. Es sind zwei neue Erzieherstellen bewilligt worden. Dazu kommt ein neuer Sozialarbeiter. Jetzt haben wir insgesamt fünf, mehr, als uns eigentlich zustehen. Der Senat hat auf den Hilferuf reagiert. Im November werden wir in der Schule eine Zukunftskonferenz organisieren.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
FDP-Chef Lindner verabschiedet sich aus der Politik
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen