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SchulkonfliktEine dritte Front eröffnet

Primarschul-Befürworter prüfen, ob sie eine eigene Volksinitiative starten. Ziel ist die flächendeckende Einführung der Reform. Heute fünfte Verhandlung im Rathaus.

Nicht immer sind die Feinde deiner Feinde - hier die Initiative "Wir wollen lernen" - auch deine Freunde. Bild: dpa

Dass ihnen die Zugeständnisse des Senats an die Volksinitiative "Wir wollen lernen" zu weit gehen, haben Unterstützer der Primarschule in den vergangenen Tagen immer wieder erklärt. Bei Statements aber soll es offenbar nicht bleiben: "Wir wollen, dass die Primarschule verbindlich für alle in 2011 eingeführt wird", sagt Stefanie von Berg von der Elterninitiative "Pro Schulreform". Daher prüfe man "ernsthaft, ob wir eine Volksinitiative gründen", so von Berg.

Rechtlich wäre das noch möglich: Eine neue Volksinitiative könnte Unterschriften sammeln und in den nächsten sechs Monaten auch öffentlich mit Plakaten für ihr Anliegen werben. Erst, wenn es im Sommer zum Volksentscheid der Primarschulgegner käme und dieser erfolgreich ausginge, würde eine Frist von zwei Jahren beginnen, innerhalb derer es zu diesem Thema keine neue Volksabstimmung geben dürfte. Kommt es aber jetzt zu einer Verhandlungslösung - oder sollte die Initiative von Rechtsanwalt Walter Scheuerl im Sommer scheitern -, dann könnte eine neue Volksinitiative auch in die zweite und die dritte Stufe gehen.

Inhaltlich würde die Lage allerdings sehr viel unübersichtlicher: Die neue Volksinitiative würde sich auch gegen den Senat richten - der zwischen zwei Fronten stünde. Pro Schulreform stört sich vor allem daran, dass die Primarschule in drei Tranchen bis 2012 eingeführt werden soll. Dann nämlich gibt es 2010 und 2011 parallel auch Gymnasien, die neue fünfte Klassen einrichten - und das, befürchtet die Initiative, könnte die Abwanderung der leistungsstärkeren Schüler und eine soziale Entmischung bedeuten. "Das produziert den Fehlstart der Primarschule", sagt ein Kritiker.

Schädlich sei zudem auch, dass die Entscheidung, ob eine Schule in der zweiten oder dritten Tranche mitmacht, von der Schulkonferenz gefällt werden soll - damit werde ein eigentlich politischer Konflikt an die Schulen verlagert.

Für eine flächendeckende Reform hatte sich in der vergangenen Woche auch der Sprecherkreis der 162 künftigen Primarschulleiter ausdrücklich ausgesprochen. Von diesen allerdings hielte so mancher auch die geplanten drei Stufen als Kompromisslösung noch für hinnehmbar - wenn denn gesichert ist, dass es einen für alle Schulen verbindlichen Plan gibt. Und die Entscheidung, wann eine Schule sich umwandelt, gerade nicht bei der Schulkonferenz landet.

Drei Tranchen

In der Kritik steht die Idee der schwarz-grünen Regierung, die Reform in drei Schritten einzuführen:

Im Schuljahr 2010/11 würden laut Zeitplan die 24 Starterschulen erstmals 5. Klassen einrichten. Zudem richten weitere Primarschulen 4. Klassen mit Primarschulkonzept ein.

2011/12 würde diese zweite Tranche der Primarschulen erstmals 5. Klassen einrichten.

Die dritte Tranche, also alle übrigen Grundschulen, würde mit der Primarschulunterstufe in Klasse 4 starten - noch vor der nächsten Bürgerschaftswahl. (kaj)

"Wir wollen lernen"-Kopf Scheuerl und die Handelskammer regten zuletzt an, 50 Schulen erstmal drei Jahre lang versuchsweise zur Primarschule umzuwandeln und dann, anhand der Lernerfolge, zu entscheiden, ob die Reform wirklich kommen soll. Fachleute indes halten einen seriösen Vergleich in derart kurzer Zeit für nicht machbar.

Dieser Vorschlag, Dienstag früh kurz vor der vierten Verhandlungsrunde zum Reformkompromiss bekannt geworden, soll den Moderator Michael Otto "irritiert" haben - er blieb der Runde dann auch fern. Otto wird aber heute zur fünften Runde wieder mit am Tisch sein.

Unter Beobachtern gilt als unklar, was von den optimistischen Rauchzeichen aus den Verhandlungen vom Dienstag zu halten ist. GAL-Fraktionschef Jens Kerstan hatte danach eine Fernsehsendung abgesagt mit der Begründung, es habe "echte Bewegung geben". Er wolle die Gespräche nicht "durch öffentliche Debatten über offene Punkte" gefährden. Wie aus GAL-Kreisen zu hören ist, handelt es sich aber hauptsächlich um eine atmosphärische Verbesserung. Inhaltlich sei man in der Kernfrage - verbindliche Einführung der Primarschule oder nicht - kein Stück weiter.

Wenn die Runde sich am heutigen Freitag um 10 Uhr wieder im Rathaus trifft, soll der Durchbruch kommen. "Entweder es bewegt sich was, oder es war der letzte Termin", hört man aus den Regierungsfraktionen.

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5 Kommentare

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  • G
    Grundschullehrerin

    Faule Kompromisse verkehren wünschenswerte Ziele in ihr Gegenteil! Als engagierte Grundschullehrerin wünschte ich mir längeres gemeinsames Lernen. Jedoch halte ich schon den Kompromiss der sechsjährigen Primarschule für den falschen Kompromiss, da die Rahmenbedingungen für gemeinsames Lernen zur Zeit nicht vorhanden bzw. nicht bezahlbar sind. Viele Primarschulen werden auf Dauer zwei Standorte haben, teilweise in einer weiterführenden Schule unterkommen oder Neubauten brauchen. Freiwerdende Lehrer der weiterführenden Schulen sollen in die umliegenden Primarschulen pendeln. Pendelnde Lehrer sind gestresste Lehrer, die den Schülern nicht der Ansprechpartner sein können, den sie brauchten. Wo sollen die Lehrer für die ersten Klassen 2011 und 2012 herkommen, wenn die erfahrenen Grundschullehrer in Klasse 5 und 6 weitergehen? Die Integration der Migrantenkinder und der behinderten Kinder kann nicht mit abgeordneten Lehrern aus dem Sekundarbereich gelingen! 25 Schüler pro Klasse ist auch keine "kleine" Klasse! Gerade ältere Schulgebäude haben enge Klassenräume, teilweise ohne Gruppenräume oder Differenzierungsräume.

    Mein Vorschlag: Lassen Sie uns die gemeinsame Schule von unten aufbauen: eine Schule für alle von der Vorschule bis Klasse 4 würde auf eine breite gesellschaftliche Zustimmung durch alle Parteien hinweg stoßen mit individueller Förderung für alle!

  • CB
    Carsten Bittner

    Der gerade jetzt nur durch eine parlamentarische Anfrage bekannt gewordene Plan, die Hamburger Vorschulen zu schließen, bestätigt eindrucksvoll, dass die Warnungen der Volksinitiative "Wir wollen lernen" völlig berechtigt sind: Für die Einführung der Primarschule fehlt es den Grundschulen an Räumen für die Aufnahme der 5. und 6. Klassen. Für den Neubau von Räumen reicht das Geld nicht. Also werden andere schulische Leistungen zurückgeschnitten. Das es dabei jetzt ausgerechnet die Vorschulen treffen soll, also die Stelle im Schulsystem, an der durch frühe Förderung noch am besten soziale Benachteiligungen ausgeglichen werden können, ist ein besonders bitterer Witz am Rande. Das soll "längeres gemeinsames Lernen" sein?

  • B
    birdy

    Auch Frau Goetsch reformiert Ihre Reform gerade wieder zum Nachteil der Schüler durch die geplante Abschaffung der Vorschule.

     

    Langsam aber sicher wird immer klarer worum es bei der Primarschulreform eigentlich geht:

     

     

    Die laufenden Kosten der gesamten Schulischen Ausbildung sollen gesenkt werden. Während die Vorschule bisher noch Bestandteil des Gesamtkonzeptes war fällt diese nun raus. Am Nachmittag soll dann aber die Betreuung in der Schule organisiert werden mit niedrigem Personalschlüssel und rudimentärem Angebot in Räumen, die nicht in Änsätzen dafür geeignet sind für alle Kinder einer Schule eine halbwegs sinnvolle Betreuung zu gewährleisten.

     

     

    Die inhaltlichen Ziele der Primarschulreform werden so zusätzlich massiv kontakariert. Wie hier noch eine Förderung schwacher oder sozial benachteiligter Kinder systematisch erfolgen soll ist ein Rätsel.

     

    Die Kitas sind zu dem der Behörde für Soziales zugeordnet und nicht der Schulbehörde. Dies dürfte ein notwendiges koordiiertes Vorgehen weiter erschweren.

     

     

    Wie wichtig und Wirkungsvoll eine einheitliches straff organisiertes Gesamtkonzept der vorschulischen Ausbildung wäre kann jeder erkennen , der die offiziellen Hamburger Schulstatistiken der letzten Jahre betrachtet.

     

     

    Dort ist ausgewiesen, daß die größte Migrantengruppe im Verhältnis zu andereren Migranten in der Vorschule unterrepräsentiert ist.

     

    In den Schulformen Haupt/Realschule sind sie dann gegenüber den anderen Migranten aber wieder überrepräsentiert, im Gymnasium dagegen unterrepräsentiert. Hier liegt zumindest ein logischer Zusammenhang nahe zwischen vorschulischer Ausbildung und Schulerfolg.

  • F
    Fredi

    Der Hamburger Senat täte gut daran, die Verhandlungen mit der Initiative "Wir wollen lernen", platzen und es auf einen Volksentscheid ankommen zu lassen. Gesamelte Unterschriften, zumal mit Unwahrheiten erschlichen, legitimieren nicht dazu, verhandlungsberechtigt zu sein.

  • E
    einheitsschüler

    Eine stufenweise/freiwillige Einführung wäre das sichere Ende der Reform.

     

    Man stelle sich vor, England würde den Rechtsverkehr freiwillig und stufenweise einführen.

     

    Nebenbei: von WWL-Seite wird immer gerne nach wissenschaftlicher Bestätigung für das Neue Lernen gefragt. Abgesehen davon, dass es davon und auch praktische Erfahrung hinreichend gibt:

     

    Das bisherige Schulsystem ist lediglich durch seine Tradition begründet. Es wurde in der Feudalgesellschaft konzipiert und für diese optimiert. Lediglich im 19. Jahrhundet gab es eine größere Anpassung: die Einführung der Realschule - übrigens auch gegen erbitterten Widerstand ;-)