Schule: Grundsätzlich geht es ums Agieren

Auch Selbstbewusstsein muss ja trainiert werden – die Boxgirls Berlin helfen dabei Schulen mit dem Workshop „Sicher im Kiez“.

Boxen - hier ein Foto von einem Trainingscamp - soll helfen, Selbstbewusstsein aufzubauen. Bild: AP

Neun Kinderaugenpaare blinzeln tapfer gegen die Morgensonne auf dem Schulhof der Otto-Wels-Grundschule in Kreuzberg. Sie blinzeln, um nur keine Bewegung von Boxtrainerin Lara Stepanovic zu verpassen. „Euer linker Unterarm klappt aus, die Faust dreht sich, der Blick bleibt auf dem Gegner, die rechte Faust habt ihr als Deckung am Kinn“, erklärt Stepanovic und stößt dann blitzschnell mit dem linken Arm nach vorne.

Boxen, Lektion Nummer eins beim Schüler-Workshop „Sicher im Kiez“, einem gemeinsamen Projekt des Kreuzberger Boxgirls gGmbh und der Freien Universität Berlin, das Kinder stark machen will gegen Gewalt.

Kinder selbstbewusst gegen Gewalt machen – mit Kampfsport? Carola Bieniek, Projektleiterin bei den Boxgirls, lächelt geduldig. Den Einwand hört sie oft. „Beim Boxen, zumindest beim Amateurboxen, geht es ja nicht ums K.o.-Schlagen. Da kann man nur durch technische Überlegenheit gewinnen“, sagt sie. „In erster Linie geht es also um Strategie: Ich muss meinen Gegner lesen können und dann entsprechend agieren.“ Es ist also weniger das Wissen darum, wie man jemanden verprügeln könnte, was zählt – sondern „eine innere Haltung, die stark macht“, wie Bieneck formuliert.

Und ist im Ring das Gegenüber der Gegner, ist es auf der Straße vielleicht eine Gruppe Jugendlicher, vor der man Angst hat, oder auch einfach eine gefährliche Kreuzung ohne Ampel, sagt Bieneck. „Situationen, mit denen ich klarkommen muss, wo ich eine Strategie brauche. Und wenn ich die habe, fühle ich mich sicherer. Dann reagiere ich nicht nur, dann agiere ich.“

Noch etwas misstrauisch beäugt Gamze die blauen Boxhandschuhe, die viel zu groß wirken für die kleinen Fäuste der Schülerin. Stepanovic fordert sie auf, gegen die Pratze, eine Art kleines Schutzschild, in der Hand der Trainerin zu boxen, „Ja, kräftig!“, doch der Schlag gerät eher zum zarten Stupser. Mitschüler Karem dagegen tänzelt angriffslustig vor Stepanovic hin und her und schlägt zu, bis ihm die Luft ausgeht.

Die Mädchen gehen zu Beginn meistens recht zaghaft zu Werke, sagt Anna Willkomm, die zusammen mit Stepanovic und zwei weiteren Boxgirls-Kolleginnen den Workshop leitet. „Das dauert ein wenig, bis sie sich trauen, wirklich zuzuschlagen.“ Weil Mädchen oft eher passives, reaktives Verhalten anerzogen werde, sagt Bieneck. „Beim Boxen kann man aber genau das vergessen: Ich kann nicht immer nur in Deckung gehen, dann verliere ich.“

Einige der Mädchen, die zunächst nur verlegen kichernd auf die Boxhandschuhe starren, fänden nach den drei Workshop-Tagen aber auch regelmäßig den Weg zum regulären Training der Boxgirls im Johann-Trollmann-Boxcamp in der Bergmannstraße, sagt Bieneck. Gut fünfundzwanzig Mädchen sind es derzeit, etwa die Hälfte davon mit Migrationshintergrund. Auch Integration, „soziale Grenzen im Alltag niederreißen“, formuliert Bieneck, ist ein Thema bei den Boxgirls.

Stuhlkreis im Klassenraum. Am Tag zuvor sollten sich die Kinder überlegen, vor welchen Situationen sie Angst haben. „Allein auf dem Weg zum Supermarkt“, hat Sophira gesagt. „Vor den Obdachlosen am Kotti, die mit sich selber reden“, hat Verda gemeint. Nun sollen sie darüber nachdenken, was sie in ihrem Kiez ändern würden, wenn sie Bürgermeister wären. Muhammed und Sophira schreiben auf die ausgeteilten Zettel, sie würden gern „die Penner vom Kotti und Görli“ verbannen, wenn sie könnten.

Lehrer Thomas Reinhard nickt. Er kenne das auch aus dem Unterrichtsalltag, die Ängste vieler Kinder an der Schule, die nur eine U-Bahnstation vom Kottbusser Tor entfernt liegt, würden sich auf eben diesen Ort projizieren. Und „die Penner“, hat er das Gefühl, „müssen dann wohl als Synonym für so ein diffuses Bedrohungsgefühl herhalten, das die Unübersichtlichkeit des Kottbusser Tors offenbar bei den Kindern auslöst“.

Ob die Verbannungsstrategie für „die Penner“ nun der richtige Ansatz ist, den Gegner namens Angst zu schlagen, soll mit den kleinen Bürgermeistern in spe im Verlauf des zweiten Workshop-Tags noch diskutiert werden. Aber grundsätzlich, sagt Bieneck, gehe es natürlich bei der Übung – wieder der Vergleich zum Boxen – um das Prinzip des Mitgestaltens einer Situation, um das Agieren. „Du wohnst hier, es ist auch dein Kiez, mach was draus.“

Gamzes Schläge in den schweren Boxhandschuhen werden langsam sicherer.

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