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Archiv-Artikel

Schuldenfrei in 198 Jahren

HAUSHALT Das Land macht einen Überschuss von gut 300 Millionen Euro und zahlt damit Schulden zurück. Die Koalition glaubt noch daran, dass Berlins Schuldenberg sich abbauen lässt. Die Opposition setzt auf Hilfe von außen und fordert, die Ausgaben zu erhöhen

Berlin baut Schulden ab: Dank kräftig sprudelnder Einnahmen hat das Land 2012 überraschend einen Überschuss von 315 Millionen Euro gemacht. Das Geld hat Berlin verwendet, um Schulden zurückzuzahlen, deren Höhe nun noch bei 62,6 Milliarden Euro liegt. Wenn das Land in diesem Tempo weiter macht, es in 198 Jahren und 9 Monaten schuldenfrei.

Der wichtigste Grund für den Überschuss: Derzeit haben in Berlin 1,76 Millionen Menschen Arbeit, so viele waren es seit der Wiedervereinigung noch nie. Dementsprechend sprudelt die Einkommensteuer. Und weil die Berliner ihren Lohn auch wieder kräftig in den Geschäften ausgeben, steigen die Einnahmen aus der Umsatzsteuer.

Ob Berlin jetzt jedes Jahr einen Überschuss macht, kann niemand absehen. Es hängt vor allem von der Konjunktur ab und wie die Wirtschaft in der Stadt sich weiterentwickelt. Derzeit steigt die Zahl der Jobs jedenfalls so stark wie in keinem anderen Bundesland. Andererseits startet Berlin aber auch von sehr niedrigem Niveau – die Arbeitslosigkeit liegt hier immer noch weit über dem Bundesdurchschnitt.

Im langfristigen Trend sieht es jedenfalls gut aus für die Landesfinanzen. Vor allem, weil der Senat die Ausgaben relativ konstant gehalten hat. Gut möglich also, dass die Politik nun häufig vor einer ganz ungewohnten Frage steht: wohin bloß mit dem ganzen Geld?

„Wir werden damit weiter Schulden tilgen“, sagt Christian Goiny, Haushaltspolitiker der CDU-Fraktion. Die Koalition wolle, dass die Ausgaben jährlich nur um 0,3 Prozent steigen. Wenn man an einer Stelle mehr Geld ausgeben wolle, etwa bei der Bildung, müsse das an anderem Ort gespart werden, betont Goiny. Es sei „langfristig möglich“, dass Berlin seine Schulden zurückzahlt. Das Land müsse seine Finanzen selbst in den Griff bekommen: „Es ist nicht unser Anspruch, dass Berlin dauerhaft auf Kosten der anderen Bundesländer lebt.“

Die Opposition will stattdessen die Ausgaben erhöhen. Die Grünen würden am liebsten 700 Millionen im Jahr zusätzlich ausgeben: mehr Investitionen in Infrastruktur wie etwa Schulen. Mehr Geld für die Landesbediensteten, für sozialen Wohnungsbau und für die Hochschulen. Das Geld in den Schuldenabbau zu stecken sei ohnehin zwecklos. „Eine durchgreifende Entschuldung ist nicht möglich“, sagt der Grünen-Finanzpolitiker Jochen Esser. Stattdessen müssten Bund und Länder einspringen.

So sehen es auch die Piraten. 600 Millionen Euro im Jahr bräuchte man zusätzlich – zum Beispiel für Kitas, Schulen, Kultur, Verkehr und die Bezirke. Und natürlich, um die Mieten zu senken, meint der Piraten-Abgeordnete Heiko Herberg. Auch die Linken wollen künftige Überschüsse ausgeben, statt mit dem Geld Schulden zurückzuzahlen. „Investitionen in Manpower und Infrastruktur bedeutet, auf lange Sicht zu sparen“, so die Haushaltspolitikerin Manuela Schmidt. SEBASTIAN HEISER