: Schüttere Wolkendecke
Der Schwund niedriger, Sonnenlicht reflektierender Wolken treibt den Klimawandel, wie eine Bremerhavener Studie zeigt. Die Erderhitzung wiederum verhindert niedrige Wolken
Von: Harff-Peter Schönherr
Ob man nun Klimawandel oder Klimakrise sagt, Erderwärmung oder Erderhitzung: „Die letzten zehn Jahre waren die wärmsten zehn Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen“, hält der „Climate Change Service“ des Copernicus-Erdbeobachtungsprogramms der EU in seinem Mitte Januar erschienenen Bericht „Global Climate Highlights 2024“ fest. „2024 war 1,6 Grad Celsius wärmer als das vorindustrielle Niveau.“
Ob man nun dem Bundestagsantrag der AfD „Freiheit statt Ideologie – Aufkündigung aller internationalen Klimavereinbarungen“ aus dem Herbst 2023 glaubt, der behauptet, der menschliche Einfluss auf das Klima sei „umstritten“, oder über so viel faktenferne Verblendung den Kopf schüttelt: Schon 2023 war äußerst warm. So extrem im Durchschnitt, dass, nach Einberechnung aller bekannten Faktoren, vom Wetterphänomen El Niño bis zu Treibhausgasen des Menschen, eine Lücke von etwa 0,2 Grad Celsius blieb.
Ein Forschungsteam um Helge Gößling, Klimaphysiker am Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung hat im Fachjournal „Science“ Ende 2024 erklärt, was diese Lücke füllt. Wer die Studie „Recent global temperature surge intensified by record-low planetary albedo“, liest, lernt: Die Hauptursache liegt nicht in stärkerer Sonnenaktivität und dem Rückgang des Meereises, der Schrumpfung reflektierender Schneedecken in polaren Landregionen. Sie hat vielmehr mit tief hängenden Wolken zu tun, ab 2000 Höhenmeter abwärts. In den nördlichen mittleren Breiten hat sich ihre Decke verringert, auch in den Tropen.
Tiefe, wärmere Wolken reflektieren das Sonnenlicht gut, das hält die Erde kühl. Zugleich absorbieren sie Wärme der Erde und leiten einen großen Teil davon nach oben weiter. Hohe, kältere Wolken reflektieren die Sonnenstrahlung weniger gut, blockieren das Aufsteigen der Wärme der Erdoberfläche. Fehlen tiefe Wolken, wird es wärmer.
„Im Frühjahr 2023 haben wir ungewöhnlich hohe Temperaturen im Nordaltlantik festgestellt“, sagt Helge Gößling. „Wir haben uns gefragt, woran das liegt: An wetterbedingten Schwankungen? Oder steckt mehr dahinter?“ Es steckte mehr dahinter, und eine Modellierung entstand, gemeinsam mit dem European Centre for Medium-Range Weather Forecasts: „Das war im Kern ein Computerjob“, sagt Gößling. „Vor allem Daten von Satelliten sind eingeflossen, Reanalysedaten von Wetterstationen.“
Das Ergebnis: Weniger tiefe Wolken, aber gleich bleibende Wolkenbedeckung in mittleren und hohen Höhen. Die planetare Albedo, das Reflexionsvermögen der Erde, seit Jahrzehnten schrumpfend, war 2023 so niedrig wie seit den ältesten verwendeten Daten nicht – die waren von 1940.
Eine der Ursachen: Die Erderwärmung selbst. Das wäre ein Teufelskreis. Immer weniger tiefe Wolken durch immer mehr Erderwärmung, und immer mehr Erderwärmung durch immer weniger tiefe Wolken. Auch der Rückgang der vom Menschen verursachten Aerosole in der Atmosphäre könnte eine Rolle spielen, was nicht zuletzt weniger Kondensationskerne für die Wolkenbildung bedeutet – auch, weil Schiffe jetzt nicht mehr so viel Treibstoff-Schadstoffe freisetzen.
Das heißt natürlich nicht, dass es gut wäre, die Umweltauflagen für Schiffe wieder zu lockern. Aber es könnte heißen, dass sich die Hoffnungen auf das Geo-Engineering richten, umfassende Eingriffe in geo- und biogeochemische Kreisläufe der Erde. „Ich vermute, die Thematik wird Fahrt aufnehmen“, sagt Gößling. „Zumal forschungsseitig wird Nachfrage entstehen.“ Aber Gößling warnt zugleich: „Da gibt es viele Fragezeichen. Dabei können vielfältige Probleme entstehen. Zum Beispiel: Wer profitiert davon, wer ist Leidtragender?“ Gößling ist „sehr skeptisch, dass das Lösungen brächte“.
Neuland wäre es nicht. Weil weißere Wolken mehr Sonnenlicht in den Weltraum reflektieren, wird bereits seit Jahren an der Aufhellung von Meereswolken gearbeitet. Ein Lösungsansatz: Meersalz-Aerosole von Schiffen aus in Wolken zu sprühen, die dort als Kondensationskerne wirken: Wasserdampfmoleküle sammeln sich um sie, Tröpfchen bilden sich. Gößling zeigt eine andere Richtung auf: „Was, wenn es uns gelänge, in großem Stil Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu holen? Das wäre ein wirklicher Gamechanger!“
„Und immer wieder, / wenn ich mich müde gesehen / an der Menschen Gesichtern, / so vielen Spiegeln unendlicher Torheit, / hob ich das Aug / über die Häuser und Bäume / empor zu euch, / ihr ewigen Gedanken des Himmels“, dichtete Christian Morgenstern einst in „An die Wolken“. „Und eure Größe und Freiheit / erlöste mich immer wieder, / und ich dachte mit euch / über Länder und Meere hinweg.“
Ein schöner Gedanke. Was Christian Morgenstern wohl geschrieben hätte, hätte er gewusst, dass Gefahr im Verzug ist, wenn es an Stratus-, Cumulus- und Stratocumuluswolken fehlt?
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