: Schröckliche Purschen hüpfen über Tische
Sie sind saukomisch und auch ein bischen anarchisch. Die freie Theatertruppe „Freuynde + Gaesdte“ ist mit einer wilden, aber wortgetreuen Parodie von Friedrich von Schillers „Räubern“ im Blauen Haus in Münster zu sehen
„Hum, hum!“ 2. Akt, 3. Szene. Das Zitat aus „Die Räuber“ zeigt, dass im ersten Großdrama des genialisch-pathetischen Jungdichters Friedrich von Schiller das Zeug zur unfreiwilligen Parodie schlummert. So hat denn auch das freie Münsteraner Theater „Freuynde + Gaesdte“ der „Verlockung“ Schiller nicht widerstehen können.
Seit Jahren inszenieren sie ihre Stücke an ungewöhnlichen, aber angemessenen Orten. So auf einem Boot auf dem Aasee, Karmakars „Totmacher“ im Zwinger und zuletzt H. G. Wells „Die grüne Tür“ an einem geheimen Ort, zu dem nur je vier Zuschauer per Chauffeur gebracht wurden. Schillers „Gemälde einer verirrten großen Seele“, des „Verbrechers aus verlorener Ehre“ Karl von Moor verlegen sie ins Blaue Haus, das als Räuberhöhle, Böhmerwald und Schloss herhalten muss. Hölzerne Galerien und Emporen prägen die alte Studentenkneipe. Die haben „Freunyde + Gaesdte“ schon zweimal bespielt: Mit der Shakespeare-Persiflage „Romeo“ – schon weil der Raum einem Globe Theatre in klein ähnelt – und den „Drei Musketieren“.
Nun tollen die vier Darsteller Frank Dukowski (als Franz und Karl von Moor sowie Ahnengemälde), Jan-Christoph Hassel (Amalia, Schweizer und Trakehnerhengst), Marcell Kaiser (Vater Moor, Roller, Kosinski, Ahnengemälde) und Zeha Schröder (Hermann, Spiegelberg, Dietrich, Haflingerwallach, zwei vorlaute Pfaffen und Ahnengemälde) über Tische und Bänke, klettern Galerien rauf und runter, stürmen Treppen und Geländer. Allesamt „schröckliche Purschen“ (und dazu eine Dame), arge Schelmen, wie es in Schillers Deutsch hieße.
Zeha Schröder hat in seiner Bearbeitung den Text auf rund ein Drittel eingedampft, Schillers sperrige und veraltete Sprache dabei wortgetreu beibehalten. Das Pathos wird ironisch gebrochen, so, wenn ein ums andere Mal Schillers Worte plötzlich in den Klamauk kippen – auch unter Einsatz populären Liedguts (von „We will rock you“ bis „No woman no cry“) – , um dann unmerklich oder auch abrupt zum Original zurückzukehren.
Dieses „Weihefestspiel zum Tode Schillers“ ist derb, aber akrobatisch gekonnt, es verbindet Elemente des Straßentheaters, Klamauk, Live-Stunts mit Splatter- und Martial-Arts-Einsprengseln mit einem Wortwitz zwischen Kunst und Kalauer und bleibt stets ironisch reflektiert. Ein Drama von hochkomisch zu saukomisch und zurück.
MARCUS TERMEER