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Schriftsteller Klaus Modick über Moore„Kaum jemand feiert die Sümpfe“

Die UN-Biodiversitätskonferenz steht an. Der Schriftsteller Klaus Modick spricht über die Schönheit des Moors und die Ästhetisierung bedrohter Natur.

„O schaurig ist’s, über’s Moor zu gehn“: Otto Modersohn, „Herbstwetter“ (1899) Foto: akg-images
Heike Holdinghausen
Interview von Heike Holdinghausen

taz: Herr Modick, lassen Sie uns über Wiesen und Moore sprechen, denn bald ist wieder UN-Naturkonferenz. Zwei Wochen lang wird das Artensterben etwas Öffentlichkeit bekommen und damit auch all die Vögel, Frösche und Insekten, die bunte Wiesen und nasse Moore zum Leben brauchen, in Deutschland aber kaum noch finden sind. Liegt das auch daran, dass Grünland, im Gegensatz zum Wald, in der Kunst wenig und wenn, dann lapidar dargestellt wird?

Klaus Modick: Das muss man differenzieren. Wiesen wurden immer lieblich, auch erhaben dargestellt. Zum Beispiel die wunderschöne Wiese auf dem berühmten Bild „Hirtenknabe“ von Franz von Lenbach. Bei Moorlandschaften ist das etwas anderes, das sind klassische Hintergründe für Schauergeschichten, dort geht es häufig unheimlich und bedrohlich zu. Denken Sie an „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff, oder gar „Wir sind die Moorsoldaten“ von den Häftlingen des KZ Börgermoor.

Bild: S. Meyer-Bergfeld
Im Interview: Klaus Modick

wurde 1951 in Oldenburg geboren. Er studierte in Hamburg Germanistik, Geschichte und Pädagogik. Seit 1984 ist er freier Schriftsteller und Übersetzer. Sein Roman „Konzert ohne Dichter“ von 2015 spielt in der Künstlerkolonie Worpswede.

taz: In Ihrem Roman „Konzert ohne Dichter“ ist das Moor eigentlich ganz heiter …

Modick: Das haben die Künstler der Malerkolonie Worpswede so gesehen. Sie haben in ihren Werken die Schönheiten des Teufelsmoores herausgearbeitet, aber auch seine Kargheit, seine Dunkelheit. Für diese Maler war die Moorlandschaft das genaue Gegenteil eines Ateliers, das war der Punkt. Die wollten raus aus der akademischen Salonmalerei in die freie Landschaft, an die frische Luft. In seiner Mischung aus Lieblichkeit und Grusel war das Moor der ideale Ort dafür, ein idealer Kontrast zum stickigen Atelier.

taz: „Das Teufelsmoor ist schön, aber des Schrecklichen Anfang“, lassen Sie Rilke sagen …

Modick: … das ist ein Zitat aus Rilkes „Duineser Elegien“. Im Roman bezeichnet es treffend die Widersprüchlichkeit des Moores. Es ist schön, aber auch furchterregend, und es kann sogar tödlich sein. Man denke an die sprichwörtlichen Moorleichen. „Gar schaurig ist’s, übers Moor zu gehen, wenn es wimmelt vom Heiderauche“, heißt es bei Droste-Hülshoff. Das ist also eine widersprüchliche und eben deshalb reizvolle Sache mit dem Moor. Intakte Moorlandschaften haben diese merkwürdige Ambiguität: Da ist Kompostierung im Gange, aus lebendiger Substanz wird Moor, und das hat etwas von Vergänglichkeit und zugleich von Üppigkeit und Fruchtbarkeit. Ganz anders als beim Sumpf übrigens, der ja immer nur schrecklich ist, auch umgangssprachlich. Man versumpft, steckt in einem Sumpf, und wo Sumpf ist, sind Abgrund, Tod und Verderben nicht weit. Der Sumpf verschlingt und ist böse. Dabei sind Sümpfe bekanntlich wichtig für den Wasserhaushalt, auch als CO2-Speicher. Man denke an die Mangroven, das sind Brackwassersümpfe, denen es weltweit schlecht geht. Trotzdem feiert kaum jemand die Sümpfe, abgesehen vom sogenannten Swamp-Rock oder der Cajun-Musik.

taz: Sie sind in Oldenburg geboren und aufgewachsen, von Mooren umgeben. Welche Rolle haben die in Ihrer Kindheit gespielt?

Modick: In den 50er Jahren wurde in der Stadt Oldenburg noch viel mit Torf geheizt, auch in meinem Elternhaus. Da kamen dann die Torfbauern aus den Fehndörfern …

taz: … Fehn?

Modick: … ja, das ist ein niederdeutsches Wort. Aus diesen Moordörfern wurde der Torf gebracht, in den 50er Jahren manchmal noch mit Pferdegespannen. An den Häusern waren unter den Giebeln Haken, an denen wurde der Torf in großen Körben auf die Dachböden gehievt. Der musste unter den Dachboden und durfte nicht in den Keller, weil er trocken lagern musste. Der Brennwert ist gering, aber die Wärme der Torföfen war angenehm, mild, gut riechend. Es gab noch kein Problembewusstsein, dass dadurch das Moor verschwindet. Irgendwann hörte es auf, da kamen dann Heizöl und Erdgas.

taz: Die Trockenlegung von Mooren gilt ja heute noch als kulturelle Leistung.

Modick: Das war sie auch, erbracht unter großen Opfern. Die Moorbauern sind in den Fehndörfern angesiedelt worden, um Land urbar zu machen und Brennstoff zu liefern. Aber es hat hundert Jahre gedauert für eine Familie, bevor ihr eine Torfwirtschaft ein extrem bescheidenes Leben ermöglicht hat. Sie brachte der ersten Generation den Tod, der zweiten die Not, der dritten das Brot, hieß es damals. Heute ist das fruchtbares Weideland, hervorragend für Milchwirtschaft geeignet.

taz: Lässt sich so eine historische Erfahrung umerzählen? Also, lässt sich erzählen, dass die Urbarmachung der Moore kein zivilisatorischer Akt war, sondern ein Akt der Zerstörung, den wir rückgängig machen müssen?

Modick: Kaum. Natürlich war das aus heutiger Sicht ökologischer Selbstmord, aber wenn Sie die Trockenlegung und Urbarmachung rückgängig machen wollen, dann kommt der Milchbauer mit dem Trecker und Berlin steht still. Dann hat die Politik alles nicht so gemeint und trocknet die Wiedervernässung wieder aus.

taz: Natur hat gerade literarisch Konjunktur, das Nature Writing boomt. Dabei haben die Le­se­r:in­nen doch immer weniger Bezug zur Natur. Zum Beispiel haben wohl nur wenige mal ein intaktes Moor gesehen – 95 Prozent der Moorflächen in Deutschland sind tot, trockengelegt, die meisten sind Weideland.

Modick: Gerade darum floriert das ja. Es gibt einen hintergründigen Satz von Walter Benjamin: „Was zu verschwinden droht, wird Bild.“ Man könnte auch sagen, was zu verschwinden droht, wird Literatur oder Kunst. Gerade die Dinge und Erfahrungen, die uns entgleiten, die verloren gehen, weil wir sie zerstören, werden mythisiert und bekommen eine ästhetische Qualität, die sie an sich gar nicht haben. Den „edlen Wilden“ gibt es erst in dem Moment, in dem die Native Americans ausgerottet werden, und das Moor erscheint ästhetisch reizvoll, als es zu verschwinden droht. So werden Bilder und Texte zu einer Art künstlerischem Naturkundemuseum. Literatur beschränkt sich nicht darauf, Dinge zu beschreiben, die vorhanden sind. Und Rezeption von Kunst ist nicht nur einfach ein Wiedererkennen von etwas, das man sowieso schon im Kopf hat. Das würde ja ­bedeuten, wir Schriftsteller und Maler zeigen euch nur das, was ihr sowieso schon wusstet. Zumindest geht es darum, etwas so darzustellen, dass es den Rezipienten neue Blickwinkel ermöglicht.

taz: In der Novelle „Moos“ erzählen Sie von einem alten Mann und seiner Annäherung an die Natur und lassen ihn ­dabei quasi vermoosen. Am Ende ist er tot. Einerseits beschreiben Sie Natur als etwas sehr Verletzliches, andererseits ist sie es, die am Ende übrig bleibt.

Modick: Wir leben nun mal in einer denkwürdigen Dialektik. Je zerstörerischer wir mit unserer Umwelt umgehen, desto größer wird das Bewusstsein für die Notwendigkeit ihres Erhalts. Wie wir wissen, ist das bis jetzt nicht aufgelöst, wir sägen immer weiter munter am eigenen Ast. Weil sich die Klimakrise in den letzten zehn Jahren so dramatisch zugespitzt hat, ist diese Thematik natürlich absolut virulent – allerdings auch nicht neu. Über die Natur und ihre Zerstörung ist schon vor 200 Jahren geschrieben worden. Wilhelm Raabe beschreibt in „Pfisters Mühle“ schon Ende des 19. Jahrhunderts, wie Chemikalien eine ganze Landschaft verseuchen, oder, noch früher, Albrecht von Haller in seinem Gedicht „Die Alpen“. Da preist er das naturnahe Landleben, weil er schon in Kontakt mit früher Industrialisierung und Bergbau gekommen ist. Das gibt es schon lange, aber inzwischen hat wohl auch der Letzte begriffen, dass es so nicht weitergeht, weil unsere Erde unbewohnbar wird. Daher der Boom des Nature Writing in den letzten Jahren.

taz: Wenn die Natur sich allerdings erholt und zurückkommt, trifft sie auf Gegenwehr. Gegen Wölfe in Wäldern oder Moore statt Weiden regt sich sofort Widerstand. Wie könnte man die Erkenntnis des Verlusts transformieren in den Wunsch, etwas wirklich zu bewahren und dann auch die Folgen hinzunehmen?

Modick: Darauf weiß ich keine Antwort. Wenn jemand findet, eine Autobahn sei wichtiger als ein Moor, dann werde ich den kaum vom Gegenteil überzeugen können. Kunst und Literatur haben ihre Grenzen an den Interessen der Ökonomie; das war leider schon immer so. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre in einer Versammlung, in der Milchbauern darüber diskutieren, ob ihr Land renaturiert wird, und ich würde da ein Bild aus Worpswede hochhalten oder Annette von Droste-Hülshoff zitieren, dann würden die Bauern mich bestenfalls auslachen. Wenn entschieden wird, ein Moor wieder zu vernässen, dann geschieht das, weil es klimapolitisch geboten ist, weil Moore riesige CO2-Speicher sind und das Wasser in der Landschaft halten. Das sind Argumente, die zählen.

taz: Könnte man nicht auch argumentieren, das Ungezähmte, Gefährliche, Unzivilisierte zu erhalten oder wieder zuzulassen, sei die einzige sinnvolle Antwort auf die Natur- und Artenkrise?

Modick: Das wäre wünschenswert. Ich bin aber skeptisch, was die Wirkmacht von Kunst und Literatur angeht. Wir Künstler haben natürlich ein Interesse daran, dass Natur, Moore, Sümpfe erhalten bleiben. Die liefern ja Inspiration und Motive. Aber wer Straßen baut oder Milchkühe hält, für den hat Landschaft eine andere Bedeutung. Vielleicht können wir uns darauf einigen, der Natur Flächen zur Verfügung zu stellen, große Nationalparks wie der Yellowstone Park in den USA. Der ist ja so groß, dass er mehr darstellt als ein Naturmuseum. Dort kann sich Natur noch wirklich entfalten.

taz: Nordrhein-Westfalen scheitert gerade am Widerstand der Bevölkerung, einen zweiten Nationalpark einzurichten.

Modick: Tja, wenn das so ist, stehen Sie auch als Schriftsteller oder Maler, dem die Natur am Herzen liegt, auf verlorenem Posten. Wir können nur zähneknirschend oder meinetwegen mit einer Träne im Auge danebenstehen. Und über das schreiben, was verloren geht.

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