Schreibende Politiker: Ohne Kampfgeist
Die Texte ranghoher chinesischer Politiker werden von Beraterstäben geschrieben und reproduzieren meist erstarrte Theorien. Da helfen nur noch amerikanische Biographen.
Ein Frankfurter fragte mich: Was ist der größte Unterschied zwischen China und Deutschland? Ich antwortete mit einer These. An dem Tag, an dem Frau Merkel als Kanzlerin abtritt, wird der Hoffmann und Campe Verlag wegen einer Autobiographie auf sie zukommen. Die Insider-Informationen, über die sie verfügt, werden ihr ein Honorar in Millionenhöhe einbringen.
In China läuft das anders: Wenn KP-Generalsekretär Hu Jintao abtritt, werden seine Nachfolger eine riesige Redaktionsgruppe bilden, um Hus Reden und Interviews zu sammeln. China hat einen speziellen Volksverlag, der dafür zuständig ist, die wichtigsten Äußerungen der höchsten Führer möglichst schnell zu publizieren. Danach werden alle Parteimitglieder und Regierungsbeamte in jeder Hierarchieebene aufgefordert, diese Werke gemeinsam zu studieren.
Die Rangordnung zwischen chinesischen Politikern – egal ob auf Fotos, in den Nachrichten oder in der Reihenfolge der Publikationen – wird sehr streng beachtet und hat symbolische Bedeutung. Auf der rechten Seite der chinesischen Ausstellungräume werden die Werke aller früheren chinesischen Führer in Positur gerückt. Ganz oben liegen die „Gesammelten Werke von Marx und Engels“. Diese zwei deutsch-englischen und bärtigen Männer sind die Begründer des Kommunismus. Darunter liegen jeweils die gesammelten Werke von Mao Zedong, Deng Xiaoping, Jiang Zeming und die Rede des nachfolgenden Hu Jintao auf dem 17. Parteitag der KP aus. Vor 30 Jahren hätten nach Marx und Engel Lenins und Stalins Werke folgen müssen. Heute nehmen die Führer der KP nur noch selten auf die zwei Bezug. Jetzt ist das Zeitalter der „chinesischen Besonderheiten“, deren geistige Väter Mao Zedong und Deng Xiaoping sind.
Zu Zeiten Mao Zedongs sind die „Gesammelten Werke Mao Zedongs“ und die berühmte Mao-Bibel in die Hände jedes Bürgers gelangt, selbst Grundschüler lernten einige Kapitel auswendig. Mit der Reform- und Öffnungspolitik nach 1978 nahm der enthusiastische Personenkult deutlich ab. Die Werke der Führer nach Deng Xiaoping finden meist nur noch in der Partei und der Regierung Verbreitung.
Ein kleiner Teil der Werke Mao Zedongs entfaltete zumindest einen Hauch literarischer Brillanz und Kampfgeist. Doch die Großzahl der Werke seiner Nachfolger setzt sich aus den Entwürfen und Korrekturen der Beraterstäbe zusammen, persönliche Eigenheiten fehlen. Außerdem stützten sich Deng Xiaoping, Jiang Zeming oder der amtierende Hu Jintao mehr auf die kollektive Führung. Sie wiederholen nur anerkannte oder schon erstarrte Theorien.
Seit einigen Jahren sind die chinesischen Politiker nicht mehr auf die Fassade solcher Textsammlungen beschränkt. Kurz nach dem Rücktritt des ehemaligen Vorsitzenden Jiang Zeming veröffentlichte er seine Biographie „Er hat China verändert: Jiang Zemin“. Verfasst hat sie im Auftrag des chinesischen Propaganda-Ministeriums der Amerikaner Robert Lawrence Kuhn. Der Jiang Zemin der Biographie hat wesentlich mehr Lebenskraft als der in den gesammelten Werken.
Was sich seit den Zeiten von Mao Zedong aber nicht geändert hat, ist, dass niemand weiß, wie hoch eigentlich das Autorenhonorar und die Lizenzgebühr aus diesen Publikationen ist. In meinem Land sind einfach noch zuviele Dinge geheim.
Aus dem Chinesischen von Jost Wübbeke.
ZHOU WENHAN; geb. 1978, ist freier Autor und lebt in Peking. Er schreibt vor allem für Chinas bekannteste Wochenzeitung The Economic Observer und Phönix Weekly. Bis 2008 war er als Kulturjournalist bei der Neuen Pekinger Zeitung tätig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“