piwik no script img

Schrank-AusstellungMehr als nur Aufbewahrungsort

Er ist Gehäuse des Wissens oder auch Grab der Erkenntnis: Eine Ausstellung des Museums der Universität Tübingen präsentiert die Wissenschaft des Schranks.

Schrank ist nicht gleich Schrank. Da steckt eine ganze Wissenschaft dahinter Bild: dpa

Es gibt volle und leere Schränke und Schränke, die unter Strom stehen. Die Ersteren gehorchen dem Imperativ: Sei niemals leer! Sie sind also nicht einfach mit Dingen vollgestellt, die weggeräumt und dem Blick entzogen werden sollen. Im Gegenteil, ihr Inhalt wird in ihnen ganz bewusst zur Schau gestellt. Der Idealfall des vollen Schranks ist die gläserne Vitrine oder das Aquarium. Die leeren Schränke entpuppen sich als sogenannte Repräsentationsmöbel. Sie sollen zwar in ihrer Gestalt ihre Funktion anzeigen, aber am Schönsten geschieht das, wenn sie dieser Funktion nicht nachkommen. Die Schränke wiederum, die unter Strom stehen, sind einfach Kühlschränke.

Von all diesen Schränken, ergänzt um den Typus des Schließmöbels, das dem Wegräumen dient und dem Ordnungsmöbel, das mit Beginn des 20. Jahrhunderts zum Lieblingsobjekt der betriebswissenschaftlichen Rationalisierungsexperten avancierte, handelt die Ausstellung "auf/zu. Der Schrank in der Wissenschaft" des Museums der Universität Tübingen. Seine Ausstellungsräume befinden sich im sogenannten Hausmeisterhaus, einem kleinen Gebäude von einiger räumlicher Bedrängnis. Dass hier nur eine Handvoll Exponate ausgestellt werden kann, ist in diesem Falle nicht weiter tragisch, da der Ausstellungsraum ja potenziell die Universität selbst ist. Und weil Räume und Schränke jeder anderen Universität von einiger Dignität auch nicht anders aussehen als in Tübingen, muss man, recht besehen, gar nicht dort hinreisen. Man könnte sich beispielsweise mit einem Besuch der Humboldt- oder der Ludwig-Maximilians-Universität in Berlin und München seine Ausstellung selbst basteln. Als Leitfaden braucht man dazu nur den wunderbaren Tübinger Katalog.

Seine zwei große Fotostrecken geben hinreichende Anhaltspunkte, in welchen Räumen, Gebäuden und Fakultäten man fündig wird, die einzelnen Schranktypen betreffend. Dabei handelt es sich bei den Fotoserien keineswegs um eine simple Dokumentation. Denn Anke te Heesen - ehemals wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und seit Oktober 2006 Leiterin des neu aus der Taufe gehobenen Tübinger Universitätsmuseums - gelang es, die beiden Künstlerinnen Simone Demandt und Candida Höfer für ihr Projekt zu gewinnen.

Candida Höfer, aber auch die fünfzehn Jahre jüngere Simone Demand, pflegen in ihrer konzeptuellen Fotografie eine kühle Ästhetik, die den verwunschenen Charme der bürokratischen Aktenschränke wie die rationale Bizarrerie der mathematischen Modellsammlung in ihren Vitrinen höchst gegenwärtig macht. Genau genommen sind diese Fotografien selbst eine Art Schrank, freilich ein mit seinem Gebrauch auch schon für immer versiegelter Aufbewahrungsort.

Nicht völlig versiegelt, aber durch doppelt verschlossene Türen und einen exklusiv geregelten Zugang für den Forschungsbeauftragten und den Teamchef schwer gesichert, ist auch der Schrank, der unter Strom steht, der -80°-C-Gefrierschrank des molekularbiologischen Labors. Wie Charlotte Brives und Bruno Latour in ihrem Katalogbeitrag "Wissenschaft durch den Gefrierschrank betrachtet" erläutern, lassen sich in ihm nicht nur Bakterien, Hefepilze oder Viren, sondern die ganze Forschungsgeschichte eines Labors analysieren. Hier wie in den anderen Beiträgen, unter anderem zum Schranksystem, in dem sich eine ganze Universitätshierarchie niederschlägt, wird deutlich, wie viel aufregend neues, unbekanntes Kontextwissen neben dem fachspezifischen, wissenschaftlichen Wissen im "Schrank in der Wissenschaft" zu finden ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!