Schorsch Kamerun in Stuttgart: Wischmop mit Touchscreengesicht

Der Sänger der Goldenen Zitronen inszeniert ein Konzert als Reverenz an Fluxus. Ein Gefühl kollektiven Abhängens bestimmt die Aufführung.

Schorschi hier nicht im Theater, sondern vom Golden Pudel Club. Bild: dpa

Theaterfoyers werden als Warteräume völlig unterschätzt. Dabei liegt in ihrem Übergangscharakter das Potenzial einer Gemeinschaft, die sich schon als Publikum formiert, aber noch nicht in die Passivität des Zuschauers verfallen ist.

Transformiert man wie Schorsch Kamerun das Foyer in einen nostalgisch-futuristischen Erlebnisparcours um, wird es zum Schauplatz eines „gemeinsamen Experiments“ und eines „Ortes, wo man einfach mal in Ruhe gelassen wird,“ sagt Schorsch Kamerun.

Kubistische Zeltelemente erwarten den Besucher von „Denn Sie wissen nicht, was wir tun“ im Foyer des Schauspielhauses Stuttgart. Vor einem Zwitter aus Bar und Tribüne erinnert etwas an eine archäologische Ausgrabungsstätte. Rechts sind Laufstege arrangiert, ein Kreuzgangfragment und Proberaumkabuff, in dem Schorsch Kamerun mit Band spielt, kommen dazu. Überblick kann man vergessen.

Vergessen kann man neben anfänglicher Nervosität auch die Angst, irgendetwas zu verpassen. Es gibt keinen Hauptakt. Ein Zelt bewegt sich organisch wie ein Kokon in der Schlüpfungsphase auf der Empore, und absurde Gestalten wie ein lebensgroßes Cello gehen Langsamkeit zelebrierenden Teezeremonien nach.

Nebenbei erschafft eine ernst blickende Gruppe in Frack, Zylinder und Biedermeierkleidern kritzelnd Klangcollagen, die auf Fluxus verweisen. Man erhascht Refrains wie „Unsere Kunst riecht nach Opa“ oder „Jetzt – sonst niiee wieder“, geht einer unendlich lahm kriechenden Postschnecke aus dem Weg und versucht sich zu erinnern, was Fluxus eigentlich heißt.

Anwesend sein reicht

Kunst ist Leben, Leben ist Kunst. Konkret können damit die Kritzelgeräusche auf antiken Trümmern genauso als Kunst gemeint sein wie griechische Skulpturen. Stuttgarter Kunststudenten und Kreative sind genauso darstellende Künstler wie Schauspieler, Schorsch Kamerun und das Publikum.

Man braucht nicht beweisen, dass man außergewöhnlich ist. Einfach anwesend sein reicht. Das entspannt und ein Gefühl des kollektiven Abhängens in einer surrealen Welt zwischen Theater und Alltag stellt sich ein. Fühlt sich so ein Gesamtkunstwerk an?

Oder die Möglichkeit eines analogen Netzwerks? Gerade als man sich an das meditative Tempo gewöhnt hat, setzt nebenbei ein Trompetenchor zum Trauermarsch an. Die Biedermeiertruppe führt ein symbolisches Fluxusbegräbnis durch, und aus dem Zeltkokon schlüpft ein gelockter Wischmopp.

Erinnert man sich, dass „Cocooning“ in den achtziger Jahren für den Rückzug aus dem politisch-öffentlichen Raum ins privat-bürgerliche stand, wird einem unwohl bei dem Gedanken, Zeuge dieser 30 Jahre gereiften Ausgeburt zu werden. Schorsch Kameruns Gesang ist verstummt.

Schön sein ist Zwang

Stattdessen erfüllt der Monolog einer jungen Frau im Dove-Duschpröbchen-Kostüm über Ängste und DEVO den Raum. DEVO liest sich wie ein dadaistisches Wortspiel von Dove, der Pflegemarke, die mit dem Schönheitsdiktat für Körper jeglicher Beschaffenheit wirbt. Schön sein ist Zwang und „jeder ist Künstler, es gibt kaum was Schlimmeres“, stellt Hannah Plaß als frustriertes Pröbchen fest.

DEVO heißt Devolution: Zurückbildung trotz dauernder Selbstoptimierung. Da ist etwas gehörig falsch gelaufen beim Versuch, Kunst in Lebenspraxis zu überführen. Anstatt einer sozialen Skulptur findet man hier nur einsame Produkte auf der Suche nach schneller Optimierung.

Der Biedermeier hat Fluxus devolutionstechnisch eingeholt, und den privaten Rückzugsort des Kokons gibt es nicht mehr. Übrig geblieben ist nur der Wischmopp mit Touchscreengesicht, der rhetorisch zur kapitalistischen Säuberung ansetzt. Was einmal privat war, wurde verdaut und als persönlicher Richtwert für Optimierung unseres Kaufverhaltens wiedergeboren.

Man möchte den Redefluss des Lockenmonsters auf ein „so langsam wie möglich“ runterdrehen, wie von Fluxuskünstler John Cage empfohlen. Damit diese Rede wie sein Musikstück 639 Jahre dauern würde. Die Versprechungen und Superprämien würden sich in unendlicher Dehnung auflösen und wir müssten das Ende nicht erleben.

Weil wir aber nicht an den digitalen Reglern für geschlüpfte Bonusmaschinen sitzen, bleibt vorerst nur die Aussicht auf ein anderes Ende. In dieser Installation, wo auf Überwachungsmonitoren anstelle eines großen Bruders nur wir uns sehen, kann man langsam anfangen, über ein „was wir tun“ nachzudenken.

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