: Schoko, Marmelade und Terror
■ Der französische Extremperformer Costes lärmte mit seiner Partnerin Marie-Anne eine knappe Stunde im Tower herum
Beschreiben wir zunächst einfach nur das, was im Tower zu sehen war. Eine Frau tritt auf die Bühne, schaltet das Fernsehgerät ein. Eine Lärmkulisse aus Geschrei und verzerrten Gitarren breitet sich aus und traktiert während des gesamten Spektakels die Ohrmuscheln. Die Frau – ihr Name ist Anne-Marie – lümmelt sich auf dem Sofa und betrachtet den Bildschirm, wo eine stupide Nachrichtensendung abläuft, immer wieder unterbrochen von Sequenzen, wo ein Schäfer sein Schaf und das Schaf seinen Schäfer vergewaltigt sowie Liveübertragungen von der massakerträchtigen militärischen Belagerung eines von einem Diktator bewohnten Hochhauses. Während sich Marie-Anne die Schambehaarung mit einer Schere stutzt, stürzt ein hysterisch schreiender Terrorist auf die Bühne, ballert mit einer Pistole auf alles, was sich bewegt und vergewaltigt und verstümmelt unentwegt Marie-Anne, die ihrerseits ebenfalls keine Gelegenheit ausläßt, den Terroristen zu vergewaltigen und zu verstümmeln. Eine Stunde lang toben Marie-Anne und Jean-Louis Costes – der Terrorist – derart über die Bühne, gestehen sich permanent ihre Liebe und schlagen sich Sekunden später den Schädel ein, beschmieren sich dabei mit Kot, Blut und Sperma, schleudern benutzte Tampons herum und stopfen sich unentwegt Gegenstände in Anus und Scheide. Schließlich brüllen die beiden nackten und völlig verschmierten Gestalten zur Musik von Orffs Carmina Burana ostentativ das Wort „Esperanza“ und kneten dabei ihre Genitalien. Dann ist Schluß.
Ein wüstes und geschmackloses Spektakel namens „Les Otages“ (Die Geiseln), das der französische Performancekünstler Costes auf die Bühne gebracht hat. In Frankreich, erzählt er nach dem Auftritt, verfolgen ihn seit Jahren die Behörden, werfen ihm Gewaltverherrlichung, Obzönität und alles andere vor, was gegen schlechte Menschen im allgemeinen vorzubringen ist.
Für Costes ein Rätsel. „Nichts von dem, was ich zeige, ist schlimmer als die Realität“. Seine Performance sieht der 44jährige als „Musical des schlechten Geschmacks über Menschen“ – also über abgrundtief primitive, gewalttätige, lüsterne und dumme Figuren. „Einen Abend vor der Glotze, und schon muß ich eine Woche lang kotzen.“ Seine Show hingegen sei im Gegensatz zu dieser Wirklichkeit romantisch und verspielt, weil die offensichtlich lächerlich schlechte Inszenierung kein reales Grauen entstehen lasse.
Zumindest der Bewertung der Inszenierungsqualität wird niemand widersprechen können. Statt Kot und Blut benutzt der gelernte Architekt Costes simple Schokolade und Marmelade. Die Videobilder sind grell und verwackelt, das Ganze pendelt zwischen peinlicher Infantilität und amateurhafter Splatterästhetik. Wohl niemand der knapp 40 Gäste im Tower wird sich trotz dieser kruden Mischung aus Lärm, Terrorspiel und Irrsinn ernstlich provoziert gefühlt haben. Und so will sich Costes, der seit einem Jahrzehnt auf mehr als 40 Videos und CDs seine dekadenten Performances dokumentiert, auch verstanden wissen. “Wollte ich tatsächlich provozieren, würde ich während der Auftritte Bomben werfen. Bei mir aber gehen alle gesund nach Hause. Worin also besteht die Provokation?“ zott
Im Internet ist Costes zu erreichen unter http://costes.org
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