piwik no script img

Schöner kann Parken nicht sein

DAS SCHLAGLOCH von VIOLA ROGGENKAMP

Für besonders lange Wartezeiten habe ich zwei Bücher auf der Rückbank und Nüsse im Handschuhfach

„Ich interessiere mich für Ihr Auto!“

Die graue Visitenkarte steckte hinter dem eingerissenen Gummiblatt meines Scheibenwischers. Für mein Auto? Wer interessiert sich schon für mein Auto? Mein Auto ist ein verbeulter, kleiner Toyota Starlet, an dessen Fensterrahmen nach zwölf Jahren und über hunderttausend Kilometern Moos wächst, kleine grüne Kulturen. Für mein Auto interessiert man sich nur, wenn ich damit fortfahre. Dann mache ich einen Parkplatz frei, auf den drei metallisch glänzende Limousinen und ein chromblitzender Jeep warten.

Jedoch fahre ich immer seltener fort. Seit über sieben Wochen steht mein Auto auf einem Parkplatz unmittelbar vor meiner Haustür. Schöner kann Parken gar nicht sein. Von diesem Parkplatz habe ich geträumt. Ein grauer Mercedes hielt ihn besetzt, alternierend mit einem schwarzen Golfkabriolett. Er Anfang fünfzig, sie Mitte zwanzig. Wenn er rausfuhr, fuhr sie rein. Die ganze Straße, rauf wie runter ein Wagen neben dem anderen, dicht bei dicht mit dem Kühler zur Häuserfront. Ich konnte es von meinem Fenster aus beobachten. Sie hielt ihm den Platz besetzt. Abends partrouillierte sie mit ihrem Handy am Ohr auf der Straße vor ihrem Auto. Zehn Minunten später kam er um die Ecke gebogen. Sie fuhr raus, er fuhr rein. Jetzt ist der Platz besetzt. Durch mich.

Mehrmals saß ich bereits hinterm Steuer und bin wieder ausgestiegen. So auch diesmal. Obwohl es regnete. Ich beabsichtigte, die Visitenkarte mit der Handynummer des Autohändlers fortzuwerfen und legte sie ins Handschuhfach. Warum? Doch verkaufen? Mein Auto? Hinter mir hupte es fragend. Ich schüttelte bedauernd lächelnd den Kopf und freute mich diebisch.

O, ich kenne das. Mit laufendem Motor darauf lauern, dass jemand wegfahren möge. Es gibt Leute, die stehen an ihrem Kofferraum und schielen in gebückter Haltung auf die anderen, wie sie herumlungern. Man hupt nett und unaufdringlich. Es sieht ganz so aus, als führen sie jeden Moment fort. Sie schütteln hart ihren Kopf, sie genießen es, wie man mit schiefem Gesicht seufzend die Bremse lockert, wie man fortschleicht. Fünf Minuten später, man kommt wieder vorbei, sind sie doch weg. Ein anderer ist drin. Nur, weil sie einem ihren Parkplatz nicht gönnen!

Man muss die Nerven behalten und schnell sein, wenn sich eine Lücke fürs Auto auftut. In dieser Wildbahn kennt niemand das Gesetz der Reihenfolge. Wer drin ist, ist drin. Für besonders lange Wartezeiten habe ich zwei Bücher auf der Rückbank liegen, eine Flasche Wasser hinterm Beifahrersitz und Nüsse und Rosinen im Handschuhfach. Ich lese drei Sätze, ich werfe mir hastig die Nüsse in den Mund, ich sehe durch die Windschutzscheibe, in den Rückspiegel, Seitenspiegel, durch das Seitenfenster rechts, links, ich spitze die Ohren, ob irgendwo eine Tür zuschlägt, ein Motor anspringt.

Ich wollte zur Post, zur Gemüsefrau, zum Schuster, zur Buchhandlung. Das konnte ich auch zu Fuß machen und kam dabei mehrmals an meinem Auto vorbei. Jedes Mal erfüllte mich schon von weitem ein Gefühl tiefster Zufriedenheit, es dort so günstig für mich stehen zu sehen. Ich öffnete die Wagentür, warf Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch ins Autoinnere und ging weiter zur Buchhandlung. Warum nicht verkaufen? Vielleicht mal eine Weile ohne Auto? Nicht jedes Mal eine halbe bis dreiviertel Stunde auf einen Parkplatz warten müssen. Wie viel Lebenszeit hatte ich schon sitzend im stehenden Auto zugebracht, in unmittelbarer Nähe meiner Wohnung, darauf wartend, dass ich mich endlich irgendwo dazwischenquetschen konnte.

Ich war nie ohne Auto gewesen. Dreißig Jahre. Mein erstes war ein Cinquecento, dunkelblau. Ich bekam das Autochen gebraucht von einer Freundin. Um den Gang einzulegen, musste ich mit der Hand Zwischengas geben. Achtzig war Höchstgeschwindigkeit. Ich war einmal durch die Fahrprüfung gefallen, einem Mercedes hatte ich die Vorfahrt genommen. Plötzlich allein am Steuer, im eigenen Auto, ich hatte Angst. Meine erste Fahrt unternahm ich an einem Sonntagmorgen um fünf Uhr, durch die Straßen von Lübeck, damals wohnte ich dort. Ich fuhr dreißig. Alles ging so schnell. Alle Schilder musste ich lesen, dauernd kamen Bäume und Straßenlaternen vorbei. Mein kleiner Fiat hatte mehr Angst als ich. Das machte mich stark. Unser Ende war ein Totalschaden in Hamburg. Ein Mercedes hatte mir die Vorfahrt genommen, ich hing an seiner Stoßstange.

Mit meinem zweiten fuhr ich nach Griechenland. Ein weißer Käfer. Das war Autofahren. Die Europastraße durch Jugoslawien Richtung Athen! Einen halben Kilometer lang am Stück überholen, unter dem beifälligen Gehupe aller entgegenkommenden Lkw, in der Mitte der Straße mit angehaltenem Atem, aufgeblendeten Scheinwerfern und eingezogenem Bauch. Die Welt draußen besuchen auf den vier Füßen meines Autos. Man konnte an der DDR vorbei über Ungarn, Türkei bis nach Asien fahren. Der Keilriemen riss. Kein Problem. Mein Nylonstrumpf tat es auch. Ich fuhr gern Käfer. Der Motor war unüberhörbar hinten. Das machte den Wagen bei Glatteis so schön schwer.

Inzwischen bin ich sesshafter geworden. Wozu brauche ich den Wagen noch? Ich öffnete die Autotür, schob Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch auf den Beifahrersitz, legte drei neue Bücher sowie meine besohlten Schuhe dazu und nahm gedankenvoll hinterm Steuer Platz.

Hupen! Nein! Verdammt noch mal, ich fahre nicht weg. Ich muss nachdenken. Brauch ich das Auto für Ikea? Aber ich fahre nie zu Ikea. Meine Mutter besuchen. Sie wohnt ein wenig außerhalb. S-Bahn. Wann bin ich zuletzt S-Bahn gefahren? Meine kleine, alte Mutter fährt einen wuchtigen Japaner. Den würde sie mir leihen. Furchtbarer Gedanke! Wo sollte ich den in meiner Straße, mitten in Hamburg, unterbringen?

Man muss dieNerven behaltenund schnell sein, wenn sich eine Lücke fürs Auto auftut

Ich rief den Autohändler an. Sie interessieren sich für mein Auto?, fragte ich. Wo?, fragte er. Ich nannte die Straße und die Marke. Ach, der kleine Rote, sagte er. Ich war beeindruckt. Er kannte mein Auto. Seine Sprache war nicht Deutsch. Er war nett. Wie viel wollen Sie?, fragte er. Kommen Sie gleich. Warum nicht gleich? Ich muss überlegen. Er sagte: Wozu? Ich sagte, ich komme nächste Woche.

Das ist jetzt drei Wochen her. Der Ölwechsel ist überfällig. Mein Auspuff ist lauter geworden. Ich muss zum TÜV. Wahrscheinlich vergeblich. Wozu den TÜV noch bezahlen? Womöglich kommt es durch, und dann? Dann ist mein Parkplatz besetzt.

Ich stieg aus und öffnete die Kofferraumklappe. In diesen Teil meines Autos hatte ich lange nicht mehr gesehen. Unter dem üblichen Autozubehör Regalbretter, Gummistiefel im Zustand der Auflösung, in eine Decke gehüllt ein Stapel Schellackplatten, die hatte ich mal verkaufen wollen. Tischtennisschläger. Hier waren die also. Das Tagebuch von Cosimar Wagner, zwei Bände. Im grauen Plastikkanister schwappte Reservebenzin von 1990. Ich goss es in den Tank. Nie hatte ich das Auto besessen, das ich immer haben wollte: ein kleines rotes Kabriolett. Vielleicht mal ohne Auto? Gleich morgen werde ich es wegbringen. Bestimmt übermorgen. Bestimmt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen