: Schöner Scheiß verkauft sich nicht
Literaturbesäufnis wie bei Arbeitslosen: Einen Abend lang almost famous sein im Café Eggers und Landwehr. Eine Geschichte
von ULI HANNEMANN
Das Taxigeschäft war endgültig tot, und ich musste mittelfristig auf Autor umsatteln. Schnell fand sich eine Agentur, die mir einen persönlichen Betreuer zur Seite stellte, eine Art Führungsoffizier, dessen Aufgabe darin bestand, meinen Scheiß irgendwem zu verhökern. Bald darauf lud die Agentur anlässlich der Eröffnung ihres Cafés zu einem Tanz in den Mai. Oh Gott – was sollte ich bloß mit den Kritzlern reden? Ich kannte sie nicht, ich las ihre Bücher nicht, ich lese – mal ganz unter uns – überhaupt keine Bücher. Doch ich dachte an die Hure Erfolg, und außerdem war das Klopapier alle. Also biss ich die Zähne zusammen und ging hin.
Eine Sauna mit 300 Leuten. Ich holte mir einen Gerstenaufguss und kämpfte mich durch die Menge. Ohne eine Sau zu kennen, hatte ich alle schon mal gesehen. Ein Typ, der original aussah wie Wolfgang Joop, stand bunt und gackernd im Weg rum. Schick waren sie – vor allem die Damen! Obwohl ich eigens das Hemd aus der Schmutzwäsche gesucht und den gröbsten Dreck von der Hose gekratzt hatte, war ich des Abends ungekrönter Ranzkönig. Ich traf meinen Betreuer: Er hatte es noch nicht geschafft, meinen Scheiß zu verhökern. Ich solle ihm noch mehr Scheiß schicken, dann werde man den Scheiß neu sortieren – mein erstes Gespräch. Und längere Zeit auch mein letztes.
Ich setzte mich an den Rand, aß Käseschnittchen und beschloss, es so lange als Hofberichterstatter zu versuchen, bis mein Scheiß verhökert wäre. Im Grunde hatte ich schon immer gewusst, dass zwei Dinge genügen würden, um mich komplett zu korrumpieren und zum willfährigen Werkzeug des Kulturbetriebs zu machen: zum einen westfälisches Bier, recht lecker, jedoch, um schmockkompatibel zu sein, designed wie Yuppie-Pisse; zum anderen die Aussicht, aus meinem Scheiß eine Bibel der Kulturbetriebsliteratur zusammenzunageln, die das Original zum Groschenheft degradieren würde. Ein Typ, der original aussah wie Reichelt Mars-Marnicki, schwebte engelsgleich vorbei. Ich ging aufs Klo. Dort beschlichen mich erste Zweifel, ob ich mich wirklich auf einer Literatenparty befand, denn manche Gäste konnten nicht mal die Buchstaben D und H auseinander halten – so wie die hübsche Biene, die, während ich am Pissbecken stand, hinter mir aus der Kabine gestürmt kam, mir einen hastigen Blick über die Schulter warf, kurz „Entschuldigung“ summte und ebenso schnell wieder verschwand.
Ich machte mich auf den Weg ins Freie, um etwas frische Luft zu schöpfen. An der Tür stand die junge Frau von eben und aß Taschenkrebsfleischpastetchen: Von irgendwoher kenne sie mich doch? „Kann nicht sein“, meinte ich. – „Potsdam?“ – „Nee. Vielleicht Edeka am Herrfurthplatz?“ – „Nein“, sagte sie – mein zweites Gespräch. Draußen Deeskalationsmobile mit Blaulicht – bergaufwärts schien die Deeskalation bereits voll im Gange. Es regnete. Leute winkten mitten in der Unterhaltung Taxis heran und ließen ihre Gesprächspartner buchstäblich im Regen stehen. Beim Anblick der Taxen wurde ich melancholisch – es war doch nicht alles an dem Job schlecht gewesen. Zwar war man nicht wirklich von der Straße runter, hatte es aber doch wenigstens hübsch warm und trocken. Zwei frierende Journalistinnen redeten mit mir. Die eine bedauerte, dass man deutsche Männer immer erst fragen müsse, ob sie schwul seien – ich sei doch nicht etwa schwul? Und, apropos, ob ich drinnen die schicke Transe gesehen habe?
Bevor die Damen gingen, tauschten wir noch Adressen aus, um sie am nächsten Tag wegzuwerfen – mein drittes Gespräch.
Die Deeskalationsmobile kehrten zurück – mit dem Stadtplan von Wolfenbüttel kamen sie eh nicht weiter –, und ich begab mich wieder in die Sauna. Jetzt sah auch ich die beiden Transen, die original aussahen wie Andrea Fischer und Iris Berben. Ich führte ein viertes Gespräch, mit meinem Betreuer über meinen Scheiß, und später sogar ein rekordverdächtiges fünftes, diesmal mit einer gewissen Frau Kaninchen vom Dingsbums-Verlag. Sie hatte meinen Scheiß gelesen und fand ihn eigentlich recht schön – „schöner Scheiß“, nickte sie anerkennend – doch leider ließe sich so was zurzeit nicht gut verhökern. All diese parkettsicheren Personen besaßen einen irren Instinkt dafür, wann ein Gespräch beendet war und sie endlich von mir weggehen konnten. Ich selber wäre ja wie ein Anfänger einfach plump sitzen geblieben und hätte endlos weitergequatscht, allzumal ich bereits das zehnte Bier intus hatte.
Inzwischen wirkte die Feier wie eine ganz normale Party mit ganz „normalen“ Leuten: Man haute der Bedienung auf den Arsch, saß einander auf den Schößen rum und versuchte, sich gegenseitig Mund zu Mund zu beatmen, nur dass es sich eben um Autorinnen und Verleger handelte, um Lektorinnen und Journalisten und nicht wie sonst um Arbeitslose. Ich holte mir ein elftes Getränk und empfahl mich. „Tschüss“, sagte mein Betreuer – mein sechstes Gespräch.
Uli Hannemann liest heute ab 20 Uhr im Café Eggers und Landwehr, Rosa-Luxemburg-Str.17, Mitte