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Schöner Müll Aus einem alten gewebten Bettlaken wird ein Saunatuch mit Geburtstagsgrußbotschaft, wird Archiv und Andenken in einemErinnerung an den Sommer 2015

Am oberen und unteren Rand wurden zusätzlich kleine Verzierungen gestickt Fotos: taz

Von Waltraud Schwab

Schöner Müll – seit einem Jahr bringen wir hin und wieder eine Kolumne unter diesem Titel in der taz.am wochenende. Vorausgesetzt, jemand hat eine Idee, wie aus etwas, das eigentlich weggeworfen wird, etwas Neues entstehen kann. Do it yourself, upcycle, recycle, achte das, was ist, denke Altes neu – es sind mehr als Appelle, es sind Imperative.

Deshalb fanden wir: Die Idee vom schönen Müll muss regelmäßig und auf mehr Platz kommen. Auch die taz kann in Gebrauchsdingen denken und nicht nur in Gebrauchsgedanken. Ein Jahr lang wollen wir daher nun einmal im Monat etwas scheinbar Unbrauchbares wieder brauchbar machen. Sollten Sie von der Serie nicht gelangweilt sein und uns gar mit Ideen unterstützen, halten wir den „Schönen Müll“ vielleicht auch länger durch.

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Projekt Nr. 1

Selbstgewebte Laken liegen in meinem Schrank. „Weißwäsche“ von Ururgroßmüttern, Urururgroßtanten, Aussteuergut von Frauen, deren Namen niemand mehr richtig kennt. Die Laken wurden auf dem Hof meiner Großeltern gemacht, nur Monogramme erinnern an die Weberinnen. „G. Z.“ steht auf einigen. Es sind die Initialen meiner Mutter, nur dass sie nicht gemeint war. Wegen „G. Z.“ liebte meine Mutter diese Tücher, obwohl sie sie nicht brauchen konnte, denn jetzt sind die Betten länger als früher. Gewebt wurde die Weißwäsche aus Flachs, der in Süddeutschland damals noch angebaut wurde. Eines Tage fiel es meiner Mutter auf: Die violetten Flachsfelder waren schon lange verschwunden.

In ihrem Schrank war die Weißwäsche, die sie in den Truhen meiner Großmutter gefunden hatte, als diese gestorben war und die ich dann fand, nachdem meine Mutter tot war. Seither horte, nein, hüte ich die Laken.

Dies ist die Geschichte von etwas, das einer modernen Bestimmung zugeführt werden muss, damit es erneut wertvoll wird. Als ich die Tücher einmal wieder genauer betrachtete, sah ich die Naht in der Mitte. Die Webstühle waren schmal, die Weberinnen mussten zwei Bahnen aneinandernähen, um ein Bettlaken zu erhalten. Ich habe die beiden Bahnen getrennt. An Handtücher erinnerten sie jetzt. Saunatücher, dachte ich.

Zu der Zeit hatte meine Kollegin ihren 30. Geburtstag, also stickte ich ihr meine Geburtstagsgrüße auf das Tuch. Absichtlich sollten die Geburtstagsbotschaft etwas über das Jahr 2015 sagen, denn so ein Tuch kann noch hundert Jahre halten. Wenn die Enkel meiner Kollegin es eines Tages in ihrem Schrank finden, sollen sie eintauchen in das, was dann Vergangenheit ist.

Ich musste lange nachdenken, was die richtige Widmung ist. Am Ende schrieb ich: „Liebe Annabelle, erinnerst du dich an den Sommer 2015, der so heiß war, dass wir nach unruhigen Nächten sagten, nein, heute nicht, nicht in die taz gehen, nicht an die Krise in Griechenland denken, an nichts denken, schwimmen gehen vielleicht. Und plötzlich – wir hatten es nicht gemerkt – kamen die Flüchtlinge über die Grenze. Je länger ich mir das Leben anschaue, desto rätselhafter werden seine Selbstverständlichkeiten, denn ich merke, dass nichts selbstverständlich ist. Alles Liebe zum Geburtstag, Waltraud.“ Einen Wintermonat lang verbrachte ich die Abende stickend zu.

Anleitung

Mit einem Trickstift, der mit kaltem Wasser wieder ausgewaschen werden kann, schrieb ich die Botschaft auf dem Tuch vor (siehe Foto 1). Mit kochfestem Stickgarn und einfachen „Vorstichen“ stickte ich das Vorgeschriebene nach.

Vorstiche sind, was alle können: Von unten einstechen, den Faden oben einen halben Zentimeter auf der Vorlage entlang ziehen, von oben einstechen, den Faden unten einen halben Zentimeter entlang ziehen und wieder von unten nach oben stechen. Dies stetig wiederholen – siehe Foto 2. So stickte ich ein Wort in eine Richtung, und auf dem Rückweg verband ich die Stiche auf der Oberseite. Wer dafür eine andere Farbe verwendet, erhält einen zweifarbigen Effekt. Man kommt auf diese Weise flott voran.

Für Punkte verwendete ich den Knötchenstich, bei dem man von unten einsticht und den Faden dreimal um die Nadelspitze wickelt, bevor man von oben fast an der gleichen Stelle wieder einsticht. Man kann aber auch kleine Kreuzchen machen.

Ist der Abstand von einem Wort zum nächsten zu groß, bieten sich auf der Rückseite kleine Zwischenstiche immer über ein gekreuztes Fadenpaar des Stoffs – das sieht man vorne so gut wie nicht. Ich finde übrigens, es muss nicht alles akkurat sein, aber lesbar.

Mein weiterer Plan: Auch Steffi, einer Kollegin, die nächstes Jahr 30 wird, werde ich ein Tuch besticken. Denn die beiden könnten – vielleicht in dreißig Jahren, sofern sie sich dann noch kennen – zusammen in die Sauna gehen und über früher reden. Oder über mich. Praktischerweise also ist das Handtuch nicht nur Archiv, sondern auch Erinnerung.

Alternativen

Für Sie indes ist diese Vorgehensweise nicht zwingend. Der Text, den Sie aufsticken, muss nicht so lang sein. Ein Gedicht geht auch. Das hier vielleicht: „Ein Nashorn vergaß, / dass auf seiner Nas’ / ein sehr großes Horn saß. / Und wie geht es weiter? / Gar nicht, leider!“ Das habe ich soeben für Sie gedichtet. Wer es nicht witzig findet, könnte sich stattdessen für einen Sinnspruch entscheiden. So vielleicht: „Bedenke, dass dein Charakter dein Schicksal ist.“

Ideen, Fragen und Nachrichten? Schreiben Sie an muell@taz.de

Die Essecke:Waltraud Schwab macht auf dieser Seite jeden Monat aus Müll schöne Dinge. Außerdem im Wechsel: Autoren der taz treffen sich mit Flüchtlingen, um mit ihnen zu kochen. Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens und Philipp Maußhardt schreibt über das Essen in großen Runden.

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