Schöneberger Südgelände: Märchenhafte Mischungen

Es ist ein Berliner Mix mit Wiesenblumen und Wasserturm, Brombeeren und Bahngleisen. Im Natur-Park Südgelände finden sich Industrie und Natur.

Gleise, überuchert von bunt blühenden Pflanzen - im Hintergrund ein Wasserturm

Wuchernde Natur schafft neue Verbindungen Illustration: Jeong Hwa Min

BERLIN taz | Die kleinen Einschusslöcher im Wasserturm sind noch sichtbar. Größere Schäden, die der Zweite Weltkrieg am Turm hinterließ, wurden saniert, obwohl Na­tur­schüt­ze­r:in­nen das kritisierten – denn in einem Granatenloch hatte ein Falke begonnen zu brüten. Den Natur-Park Schöneberger Südgelände macht interessant, dass dort Industriedenkmäler wie der Wasserturm auf Natur treffen.

Wenige Meter von der S-Bahn-Station Priesterweg liegt der Eingang zum 18 Hektar großen Park. Auf dem Gelände finden sich Relikte der Zeit, in der es als Rangierbahnhof genutzt wurde.

Hier rollten Dampflokomotiven seit Ende des 19. Jahrhunderts über bis zu 90 Gleise. Am Wasserturm betankten Arbeiter Loks, schaufelten im Kohlelager Heizmaterial nach, drei große Lokhallen gab es. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände zerbombt, zwei Hallen komplett zerstört, nur eine blieb stehen. Nach dem Krieg betrieb die DDR-Reichsbahn das im Westteil von Berlin liegende Areal noch bis ins Jahr 1952 weiter.

Eine Brache für wuchernde Natur

Danach lag das Gelände brach und die Natur wucherte. Blätter fielen auf den Boden, wurden zu Humus und bildeten einen Nährboden für wilde Pflanzen, schufen Lebensraum für Tiere. Menschen, Vögel und der Wind brachten Pflanzensamen auf das Gelände. Wiesenflockenblumen, Brombeersträucher und Wilder Wein wachsen dort, Gleise wie Gebäude waren bald von einer dicken Moosschicht bedeckt – und sind es bis heute.

Die Besonderheit

Für sein Konzept erhielt der Natur-Park Schöneberger Südgelände vergangenes Jahr den „Internationalen Carlo Scarpa Preis“, der besondere landschaftsarchitektonische Orte auszeichnet.

Die Zielgruppe

Wilde Natur und überwucherte Bahngleise für jene mit technischem Interesse. Guter Ort für ein Frühlingsdate, umgeben von singenden Vögeln und sprießenden Blumen. Spannend für Familien, die bei einem Tagesausflug die Stadtnatur Berlins entdecken wollen. Der Park ist sehr zugänglich für ­Menschen mit Behinderung, viele Wege sind rollstuhl­freundlich.

Hindernisse auf dem Weg

Der Eintritt kostet nicht den Verstand, sondern 1 Euro, zu bezahlen am Kassenautomat am Eingang. Offen ist der Park ab 9 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit.

Dass auf dem Areal ein neuer Güterbahnhof entstand, verhinderte Anfang der 1980er Jahre eine Initiative, die Natur durfte weiterwachsen. 1995 überließ es die Deutsche Bahn AG dem Berliner Senat und der Park wurde dann im Rahmen der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover sozusagen als Berliner Außenstelle eröffnet. Seitdem betreibt ihn das landeseigene Unternehmen Grün Berlin.

Die dort angelegten Fußwege folgen dem Verlauf der Eisenbahnschienen, Be­su­che­r:in­nen laufen auf der Strecke, auf der einst Züge fuhren. Mitten im Park steht eine alte Dampflokomotive, die umzäunt ist, damit sich niemand an ihren rostigen scharfen Kanten verletzt. Über die Schienen-Fußwege geht es weiter zu einer alten Drehscheibe. Wenn Züge darauf fuhren, konnten sie auf ein anderes Gleis gedreht werden. „Einmal haben ein paar gut gefrühstückte starke Männer im Rahmen eines Tanztheaterstücks versucht, die Scheibe um ein paar Zentimeter zu bewegen“, erzählt die Parkleiterin Rita Suhrhoff, die über das Gelände führt – das funktionierte.

Neben den Industriedenkmälern gibt es im Südgelände Kunstwerke, die seit dessen Eröffnung 2000 entstanden sind. Die meisten hat die Künstlergruppe Odious installiert, wie das „wohl längste Kunstwerk Deutschlands“ (O-Ton Parkleitung). Visuell hebt sich das absichtlich nicht groß von den industriellen Überbleibseln des Parks ab, es ist im Endeffekt ein 600 Meter langes Stahlgitter, das einem ehemaligen Schienenabschnitt aufliegt. Auf ihm gelangt man weit in den naturgeschützten Teil des Geländes, wo keine Infotafeln und Bänke mehr stehen, sondern Birken, Linden und Pappeln.

Hinterlassenschaften von Be­su­che­r:in­nen wie Müll, Aufkleber und Graffiti entfernen Parkmitarbeitende gleich. Nur auf einer Fläche ist Sprayen erlaubt. Suhrhoff erzählt, dass die gerne von Graffiti-Künstler:innen genutzt würde – manche besäßen aus Solidarität zum Park sogar eine Jahreskarte. „Aber was die an Geld für ihre Spraydosen ausgeben, hätte ich gerne für den Park.“

Zugänglichkeit schaffen

In das Südgelände kommen viele Schulklassen, bei Landschaftsarchitektur-Studierenden ist die Verbindung hier von Natur und Bauwerken Semi­nar­thema. Die inklusive Ausstellung „Bahnbrechende Natur“ nahe dem Wasserturm informiert über die Geschichte des Südgeländes. Auf einer Infotafel können Be­su­che­r:in­nen die Schmetterlingsart Schwalbenschwanz als 3D-Relief ertasten. Mittels QR-Code können sie Informationen hören oder sie in Gebärdensprache ansehen. „Das ganze Gelände soll immer weiter zugänglich gemacht werden und dazu passt unsere Ausstellung“, sagt die Parkleiterin.

Seit November 2022 renoviert Grün Berlin die verbliebene Lokhalle. Wenn die Bauarbeiten 2026 fertig sind, soll das Gebäude ein Kulturort mit 14 Ateliers für Künst­le­r:in­nen sein.

Der Wasserturm wurde letztlich trotz der Bedenken der Na­tur­schüt­ze­r:in­nen renoviert, um seine Standsicherheit zu gewährleisten.

Der Turmfalke kehrte dann zurück, auch Kolkraben leben heute auf dem Industriedenkmal und machen den Park zum schnell erreichbaren Ausflugsziel für Hobby-Ornitologinnen, Geschichtsbeigeisterte und Eisenbahnfreaks.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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