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Schöne Leere im Hotel Zuversicht

Vieles plätschert einfach so dahin, an diesem langen Abend, in Bochum, bei der Uraufführung des neuen Botho-Strauß-Stücks „Der Narr und seine Frau heute Abend in Pancomedia“. Regisseur Matthias Hartmann hat dem Text kein Härchen gekrümmt und die Bühnenanweisungen strengstens beachtet

von VOLKER WEIDERMANN

Die Bühne ist überfüllt. Es sind alle, alle da. Die ganze Welt des Botho Strauß hat sich am Ende in der Empfangshalle des Hotel Confidence eingefunden und ist erstarrt. Nur die Dichterin läuft noch mit einem Maiglöckchenstrauß umher und sieht den Bühnenmenschen ins Gesicht. Dichtungsmaterial für ein ganzes Dichterinnenleben, schnell in der Starre eingesammelt, davongetragen, bald von ihr in neue Bücher gelegt, beschrieben, analysiert. Botho Strauß hat alles gegeben. Der Vorhang fällt: Wir haben hundert Rollen gesehen, haben in hundert Leben geblickt, Weltenstürzler, Millionäre, Weltenlenker, Komödianten, Verleger, Betrüger, Schwadroneure, Bücherfeen, Liftboys, Models, einen Holger, einen Engel und eine Heike als Motiv.

Der Intendant des Bochumer Schauspielhauses Matthias Hartmann, der zum zweiten Mal nach 1998 in Zürich die Gelegenheit zu einer Strauß-Uraufführung bekam, nannte es im Vorfeld „eine Art Gesellschaftstotale“, der Dramaturg Thomas Oberender sprach gar von einem „verwegenen Stück Weltganzen“ und verglich es mit Balzacs Comédie humaine. Botho Strauß’ neues Stück „Der Narr und seine Frau heute Abend in Pancomedia“ ist zunächst einmal eine Art Liebesdrama zwischen dem Narren, dem Verleger, Buch- und Frauenfanatiker, Lebenskünstler und Versager Zacharias Werner (Tobias Moretti) und der schwankenden Dichterin Sylvia Kessel (Dörte Lyssewski).

Die Bühne (Erich Wonder) ist am Anfang beinahe leer. Nur ein Tisch, ein Stuhl auf Rollen. In Saal sieben von Hotel Confidence ist Dichterlesung. Frau Kessel, jung und blond und hübsch, mit großer Brille, etwas fahrig, liest: „Nichts anderes gibt es unter der Herrschaft der Zeit als Irrtum, Scheitern und Schmerz.“ Ein empörter Zacharias Werner ruft aus dem Publikum hinauf: „Und die Sonne, Frau Kessel? Und die Chrysanthemen? Und die türkischen Dampfbäder? Gibt es die etwa nicht?“ So lernen sie sich kennen. Die Dichterin, die in den Abgrund blickt und der Verleger, der eine goldne Zukunft sieht. Mit Sylvia Kessel und ihrem neuen Buch in seinem Verlag.

Damit beginnt ihr viereinhalbstündiger Bühnenkampf, ihr mal gemeinsames, mal getrenntes Bühnenringen um korrekte Sprachbilder, Vorschüsse, Unabhängigkeit von Großverlegern, Papierkosten, um Geld, um Ehrlichkeit und Eifersucht. Und leben doch die ganze Zeit in einem großen Missverständnis miteinander. Am Ende des Theaterabends hat Sylvia Kessel einen neuen Roman geschrieben. Den Roman über sie und ihn. Zacharias liest und wundert sich und sagt: „Wir hatten nie etwas miteinander. In ihrem Buch haben wir was miteinander.“ Und die Dichterin entgegnet: „Das können Sie in diesem Fall vielleicht mir überlassen, ob wir etwas miteinander hatten oder nicht. Ich erzähle die Geschichte.“

Weltkomödienstadl

Jeder erlebt seine eigene Geschichte an diesem Abend, im Weltkomödienstadl, wie Botho Strauß ihn sieht, im Hotel Zuversicht, wo sie alle zusammenkommen, die einsamen Strauß-Menschen mit ihren Hoffnungen und Lügen, ihren Perversionen und Süchten, ihren schlauen Sprüchen und politischen Weisheiten, ihrem Geldverlangen und Statusdenken. Zacharias und Sylvia werden immer mal wieder mitten hineingespült in Gespräche, Liebesszenen, Hasstiraden. Sie spielen mit, reden mit, spielen ihre Rolle wie alle andern hier. Eine Gemeinschaft ist es nicht, was sich im Hotel Confidence zusammenfindet. Es sind einsame Gemeinschaftssucher auf Ablenkungswegen, in der Ablenkungslounge. Das Leben, wie es ist: nichts für uns. Aber wir benehmen uns trotzdem halbwegs fröhlich. Gehört ja dazu,wenn man nicht auffallen will. Ein kahlköpfiger, fetter, sonnenbebrillter, fieser Herr, der sich Onkel Bernd (Alfred Herms) nennt und sich beharrlich vor den sexuellen Avancen seiner Nichte Kerstin flüchten muss, erklärt am Tisch, im Speisesaal von Hotel Confidence: „Ich kämpfe – ich kämpfe um meinen Status als Durchschnittsmensch.“

Und das ist der Kampf fast aller Gäste des Hotels. Szene auf Szene lässt Strauß in manchmal rascher Folge aneinander reihen. Kampf um Durchschnitt, Kampf um gutes Mitlaufen, Kampf ums Weiterkommen überhaupt. Die ersten Bewerbungsgespräche einer Model-Agentur zum Beispiel, bei der sich neun verzweifelte, aufgeregt Lockerheit spielende, verkrampft den Job verlangende Model-Bewerberinnen aufs vorteilhafteste zu präsentieren versuchen und verzweifelt komisch alle kläglich scheitern. An der leichtesten Aufgabe: ein Glas ganz einfach vom Regal zu nehmen. Am Ende siegt die, von der sich Zacharias Werner, der nebenberuflich als Model-Auswähler arbeitet, für seinen Not leidenden Verlag den größten Vorteil verspricht. Denn Ina Schmölling-Knecht (Susanne Gärtner), so heißt die Glückliche, soll das Erbe ihres Vaters in Kulturwerten anlegen. Da wittert Zacharias seine Chance. Er wählt sie aus und aus Dankbarkeit geht sie erst mal gleich mit ihm ins Bett.

Greisenfantasien

So sind die Frauen im neuesten Stück von Botho Strauß. So vielschichtig und vielgestaltig die unzähligen Männergestalten in Pancomedia auch sein mögen, die Frauen sind sich alle gleich. Die Frauen kommen nur als Hühnchen oder Hürchen auf die Bühne, als lispelnde, schnatternde, dämliche und hysterische Wesen, die am dringendsten damit beschäftigt sind, ihren Körper an den Mann zu bringen oder Gewinn bringend zu veräußern. Die sich vom reichen Schwager Oswald mit Kieselsteinen bewerfen lassen und dabei beglückt aufjuchzen, die panisch aufschreien, wenn sie beim Sex anderer Leute zuhören und selbst unbeteiligt bleiben müssen, und die als Frauenreisegruppe so lange unter einem Trägheitsvirus leiden, bis ein Mann sie endlich nach Bad Oeynhausen fährt.

Sylvia Kessel unterbricht die Vertragsverhandlungen mit Zacharias Werner am Ende mit den Worten: „Lügen Sie nicht wieder. Schlafen Sie erst einmal mit mir.“ Und selbst die Buchfee (Sophie Engert), die im Mini-Miniröckchen im Milbenstaub von der Bibliotheksleiter steigt, seufzt schließlich auf: „Wie schön wär jetzt ein wissensdurstiger Greis.“ Männerfantasien, Greisenfantasien. Strauß hat sie im Confidence alle versammelt.

Und auch sonst hat Strauß vieles versammelt, was man aus seinen Büchern, aus alten Theaterstücken kennt. Das Personal ist Strauß-Personal, nicht Welt-Personal, ist nicht Gegenwart, ist Kunstwelt, ist nicht Gesellschaftspanorama, ist Strauß-Gesellschaft. Vieles plätschert einfach so dahin, an diesem langen Abend, in Bochum, in Pancomedia. Die Menschen sind gefangen in der großen Komödie und Onkel Bernd beklagt sich schon, dass niemand hier den Ausgang findet und alle seien so übertrieben, seien so aufgeblasene Charaktere. (Die Selbstironie, mitunter, zeichnet Strauß schon aus.)

Alles schwebt als Elementarteilchen über den Bühnengrund, sucht Zweisamkeit und bläst sich auf, macht Reklame für sich und zieht sich an und stößt sich ab. „Man sollte eine Wissenschaft des universellen Danebengehens begründen“, hat Strauß in seinem letzten Prosawerk „Das Partikular“ geschrieben. In Pancomedia hat er schon einen großen Schritt in diese Richtung getan. Und Matthias Hartmann lief an diesem Abend freudig mit. Kein Härchen hat er dem Text gekrümmt und ging nicht einmal über die Bühnenanweisungen wirklich hinaus. Herr seines Meisters. Man ahnt, warum Peter Stein neuerdings an Strauß-Stücke nur noch als Zweiter darf.

Ein Paar allerdings versöhnte einen etwas mit diesem Abend im Hotel Confidence. Alfredo und Vittorio (Fritz Schediwy und Ernst Stötzner), zwei alternde Kabarettisten, die seit zwanzig Jahren durch herzlichstes gegenseitiges Missfallen aufs unverbrüchlichste aneinander gekettet sind. Diese große Verachtung haben Schediwy und Stötzner als die einzige große Liebesgeschichte federleicht erzählt: „Man kann sich in den Falschen verlieben. Aber man kann immer sicher sein, dass man den Richtigen nicht mag.“ In der Verachtung ist Strauß bewandert. Da stimmt jedes Wort.

Der Theaterherrscher Strauß. Manchmal hat man den Eindruck, dass sich der langsam altersmilde Dichter mit all seinen Figuren, seinem Menschheitspanorama irgendwann selbst zu langweilen begann und einfach immer neue, neue Menschen auf die Bühne holte. Die Welt, die ganze Welt, wie ich sie sehe, soll auf der Bochumer Bühne stehen. Aber es kommen nur mickrige Figuren. Und die Welt droht auch nicht mehr: „Es gibt gegenwärtig nichts Beunruhigendes mehr. Seltsames Gefühl. Kein Abgrund in Sicht“, klagt Zacharias Werner am Ende des Stücks. Und mit ihm scheint auch Strauß zu klagen. Vor kurzer Zeit hat er einmal geschrieben, dass nach dem Abzug der Weltverbesserer und dem Verblassen endzeitlicher Visionen vom Theater nichts weiter zu erwarten sei als sein Gefühlsleben zu verbessern. Und selbst dieser kleine Anspruch des neuen Botho Strauß hat sich an diesem Abend nicht erfüllt.

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