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■ Schnittplatz„Lauter Deutsch“

Manchmal ist das Leben voller Überraschung. Ein Hexenschuß reißt einen zu Boden, und die wohlmeinende Mama bringt einen ins Bett und stellt das Radio an: Radio Brandenburg. Damit du nicht alleine bist. Dann geht sie einkaufen (ABC-Pflaster), und man robbt sich langsam Richtung Radio vor.

Denn Deutschland ist dran. Die liebe lange Woche über spielen sie dort „lauter Deutsch“ von morgens bis Mitternacht. Und sie meinen es ernst. Da singen dann deutsche Liedermacher von der Sehnsucht und die Stürmer und Dränger brüllen Deutsch-Rock, aber auch deutsche Schlager sind zu hören, deutscher Cooljazz, deutscher Rap. Manchmal ist es ziemlich weit bis zum Radio.

Aber nicht nur das Liedgut ist deutsch. Auch Deutschland, Deutschsein, deutscher Sex, deutscher Rechtsrock und deutsche Ausländer sind Thema. Mal redet so ein Olaf von Moderator mit Schriftstellerinnen wie Katja Lange-Müller über die Frage, ob „wir“ harmoniesüchtig sind oder als Volk ein Boris Becker. Oder wie der Plural von Bewußtsein geht. Oder ob wir uns „mental“ benehmen können. Dann heißt die Schriftstellerin plötzlich Irene Dische. Alle machen eine lange Denkpause, und der Olaf ruft: Musik! Woraufhin jemand den Prolog von Goethes Faust als Schunkellied singt. Das kann einen ganz schön mitnehmen.

Denn so viel Ahnung war nie. Jede Redaktion mußte sich was zum Thema Deutsch einfallen lassen. Und so wußte man vor lauter Deutschland kaum mehr, ob man nun ein Wirtschaftsmagazin oder die Feature-Abteilung dran hatte. Und es half wenig, daß die Gutmeinenden über die Erotik des Standorts Deutschlands lästerten oder den Nazi-Rock analysieren wollten. Weil das Deutsche einen so eindeutscht. Das muß an dem Wort liegen. Es klebt. Jede Bedeutung, die an dem Wort vorbeifliegen will, bleibt dran hängen. Und so zeigt die deutsche Woche auf Radio Brandenburg auf recht eindrückliche Weise, daß Deutschland als „nationales Hör-Ereignis“ so funktioniert wie ein medialer Staubsauger: Er saugt jeden Sinn ab – und alle Sinnstifter, die sich ihm tapfer entgegenrobben. Marcus Hertnek

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