piwik no script img

■ SchnittplatzMiserables Timing

Gerade stimmte das Fernsehen Hymnen auf den totalen Triumph der deutschen Ski-Alpin-Damen an, da meldete der Videotext, Ernst Jünger sei gestorben. Ein miserables Timing. Doch der Hessische Rundfunk reagierte schnell und feuerte um 12.05 Uhr über sein Kulturhörfunkprogramm HR2 eine Sondersendung ab, in der die Gewehr bei Telefonhörer stehenden Literaturspezialisten Jürgen Busche und Jürgen Manthey dem Hingeschiedenen Bemerkenswertes nachriefen.

Was „diesem ausgehenden Jahrhundert nach dem Tode Ernst Jüngers“ fehle, wurde Busche gefragt, und der zögerte keinen Lidschlag lang: „Der Repräsentant. Er hat die Widersprüche des deutschen Volkes widergespiegelt.“ Ein schwerer Verlust.

Sein Leben faßte Jünger selbst in einem so dunklen wie lächerlichen Satz zusammen: „In einem langen, bewegten Dasein erlebt man alles und das Gegenteil.“ Jürgen Busches Rückblick geriet präziser: „Als Kohl Ernst Jünger zu lesen begann, konnte man Jünger keinen Mann der Rechten mehr nennen. Spätestens 1933 hat Ernst Jünger aufgehört, ein Mann der Rechten zu sein.“ Nur im Radio kann auch ein Busche nicht rot werden und sich freuen, Jünger sei „in Frankreich die letzten Jahrzehnte durchweg mehr geschätzt“ worden, denn Jünger seinerseits pflegte seine „Hochschätzung für die französische Lebensart“, zuallererst, da er vor der Kulisse des brennenden Paris den Champagnerkelch triumphal in den glühenden Himmel stemmte.

„Am Spazierstock ohne Stahlhelm ist Jünger vor seinen Leuten auf- und abgegangen“, hauchte Jürgen Manthey, „daß er das überlebt hat, ist schon ein Wunder.“ Warum? Der arme Kerl „gerät aus dem behüteten preußischen Leben in dieses Schlamassel“, den Ersten Weltkrieg. „Es ist ein unerhörtes Trauma für ihn“, das er sauber pariert: „Er wird verwundet, er liest weiter.“

„Einer der tollkühnsten Soldaten“ (Busche) hat den Helm ab- und den Hut genommen. Die Glut seiner letzten Zigarette, die Jünger speziell fürs Fernsehen vor nebelverhangenen Anstiegen der Schwäbischen Alb vollendet pittoresk wegzupaffen pflegte, ist erloschen. Tusch! Jürgen Roth

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen