■ Schnittplatz: Der kluge Knast-Kopf
Am Dienstag war Günter Schabowski noch ein in letzter Instanz verurteilter Straftäter, heute ist er schon wieder ein kluger Kopf. Das behauptet zumindest eine Anzeige der Frankfurter Allgemeinen in der aktuellen Zeit. Seit langem schon werden verdiente Persönlichkeiten in der preisgekrönten FAZ-Kampagne zu „klugen Köpfen“ geadelt. Für die Geschmeichelten eine beinahe höchst offizielle Anerkennung als Denker, Schöngeist und Gescheitle, die man sich sicher auch mal gerne über das Sofa hängt.
Schon am Montag hatte die FAZ einen Hingucker gelandet, als die Anzeige erstmals im Spiegel erschien. Der ehemalige SEDler hinter Lektüre unter dem Brandenburger Tor: Schabowski, zum Mauerfall – wirbt für die FAZ. Was ist los in Frankfurt? Das Zentralorgan des Antikommunismus fällt ja sonst nicht gerade durch Spritzigkeit auf – und nun Werbung mit Politbürolern. Das riecht nach Tabubruch.
Seit Dienstag ist Schabowski aber auch ein Knacki auf Abruf, und in Frankfurt wird den Verantwortlichen etwas mulmig. Wohl doch zu weit vorgewagt?
Nur noch heute soll Schabowski in der Zeit erschienen, dann ist Schluss, sagt Marketingleiter Jan Klage. Es sei darum gegangen, dass Schabowski sich nach der Wende wie kein anderer mit seiner Rolle im Politbüro auseinandergesetzt habe. Das qualifiziere ihn als klugen Kopf. Mit den Bürgerrechtlern selbst und Menschen unterhalb der höchsten Machtebenen im allgemeinen tut sich die FAZ noch etwas schwer.
Der Leitartikel zur Verurteilung in der FAZ vom Dienstag stellt Schabowski keinesfalls als Vordenker dar – ganz im Gegenteil. Aber schließlich, so der Marketingleiter, gebe es auch in der FAZ konkurrierende Meinungen. Das Feuilleton beispielsweise schreibe eben manchmal auch was anderes als der Politikteil.
Offen beibt, ob Herr Schabowski, sollte er einfahren, von der FAZ ein Knast-Abo bekommt. Vielleicht gibt es auf den Berliner Seiten bald auch eine tägliche Seite für Knackis – inklusive Schabowski-Kolumne „JVA Tegel intim“.
Bernd Dörries
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