Schnittplatz: Ich und mein Magnus
Na? Haben sie den Enzensberger im gerade noch aktuellen Spiegel schon gelesen? Noch nicht? Den haben Sie sich fürs Wochenende aufgespart?
Dabei war er doch so schön angekündigt auf der Titelseite: „Hans Magnus Enzensberger / Das Evangelium der neuen Medien“. Neuigkeiten erwarten Sie sich von Hans Magnus Enzensberger? Eine erhellende, überraschende intellektuelle Analyse gar? Nach eingehender oberflächlicher Betrachtung der Präsentation des Enzen-Essays von Seite 92 bis einschließlich Seite 101 des Spiegel, Ausgabe 2/2000, raten wir uns und allen anderen: „Nicht lesen!“ und versprechen: Wir halten uns dran.
„Die Diskussion über Computer und neue Medien wird beherrscht von Heilsverkündern und Apokalyptikern. Beide haben etwas gemeinsam: Propheten sind gegen die Tatsachen immun“ – so lautet die Unterzeile des zum „digitalen Evangelium“ mutierten Aufsatzes. Und sie sollte uns bereits misstrauisch machen: Könnte es sein, dass auch Enzensberger immun ist gegen allseits bekannte Tatsachen?
Bild und Bildunterzeile auf Seite 92 erhärten diesen Verdacht: „Überlandleitung in den USA“, heißt es da, und eine ebensolche ist zu sehen, danach der H. M. E. entlehnte Satz: „Militärs nutzten die Technik zuerst.“ Dabei dachten wir bisher immer, die Militärs wären die Letzten, die von neuer Technik erführen.
Vollkommen durchgeknallt zeigt sich dann die Bild/Text-Kombi auf Seite 93: „Virtueller Sex: ,Wer Cybersex für Liebe hält, ist reif für die Psychiatrie‘ “, dazu die unvermeidlichen Nackten an Kabelsalat. Lieber Herr Enzensberger: Wer den Medienhype Cybersex für existent hält, der ist reif. U. a. aus Platzgründen können wir hier nicht auf die Seiten 94–96 eingehen, wenden wir uns lieber der Bildunterzeile der Abbildung magerer Afrikaner auf Seite 97 zu: „Armut in Afrika: ,Wer hungert, wird von Simulationen nicht satt.‘ “ Ah ja. Das reicht jetzt.
Vielleicht interessiert es Sie noch, dass Enzensberger angeblich 30.000 Mark pro Spiegel-Seite bekommt. Das machte bei acht Seiten ...? Unglaublich. kuz
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