: Schmiert Indiens Regierung ab?
Der Bestechungsskandal fordert immer mehr politische Opfer: Auch der Verteidigungsminister muss zurücktreten
DELHI/BERLIN taz ■ Die indische Regierung hat gestern einen Richter des Obersten Gerichts mit der Untersuchung des Bestechungsskandals beauftragt, der seit Tagen das südasiatische Land erschüttert. Rund 30 hochrangige Politiker, Beamte und Militärs waren von Journalisten einer Internetzeitung bei der Annahme vermeintlicher Schmiergelder gefilmt worden. Noch gestern Abend wollte Premierminister Atal Behari Vajpayee in einer Fernsehansprache zu den Vorwürfen gegen seine Regierung Stellung nehmen.
Vajpayee hatte zunächst gehofft, mit der Annahme des Rücktrittsgesuchs von Verteidigungsminister George Fernandes am Donnerstag den Druck auf seine Regierung abwehren zu können. Gestern sah es jedoch so aus, als sei Fernandes’ Rücktritt nicht der von Vajpayee erhoffte Befreiungsschlag. Abgeordnete der oppositionellen Kongresspartei blockierten gestern mit Protesten und lautstarken Rücktrittsforderungen an die gesamte Regierung den dritten Tag in Folge die Sitzungen des Parlaments in Delhi.
Mit Fernandes verlor Vajpayee einen seiner wichtigsten Minister. Er hielt als Koordinator der Koalition das Bündnis aus 20 Parteien zusammen. Gestern wurde er trotz Rücktritt in dieser Funktion bestätigt. Fernandes bestritt bei seinem Rücktritt jede Schuld und gab als Grund an, die Moral der Streitkräfte aufrechterhalten zu wollen. Er galt bisher als unbestechlich, doch seine Lebensgefährtin und Vorsitzende seiner Samata-Partei war der Annahme von rund 9.000 Mark Schmiergeld überführt worden.
Vajpayee hatte Fernandes’ Rücktritt zunächst abgelehnt, nahm ihn dann aber an, als mit dem Trinamool-Kongress die erste Partei die Koalition verließ. Im Bundesstaat Westbengalen, wo Trinamool zu Hause ist, wird demnächst gewählt.
Vor Fernandes war schon der Vorsitzende von Vajpayees Partei BJP zurückgetreten und waren vier Generäle und Beamte vom Dienst suspendiert worden. Der Skandal gibt der Opposition Rückenwind. Das von Sonia Gandhi geführte Präsidium der Kongress-Partei wollte noch gestern abend in der südlichen Stadt Bangalore zusammentreten.
Der Skandal basiert auf siebenmonatigen Recherchen des Nachrichtenportals tehelka.com im Verteidigungsestablishment. Zwei Journalisten, als Vertreter der fiktiven Waffenschieberfirma „West End International“ getarnt, wollten dem Verteidigungsministerium Kameras verkaufen, die auf Körperwärme reagieren. Während der eine als Dealer auftrat, filmte die andere mit. Es wurde eine Geschichte von „gierigen Mittelsmännern, Armeeoffizieren und Politikern, die zeigt, dass das Krebsgeschwür Korruption überallhin reicht und jeden berührt“.
Jeder in Indien kennt Korruption aus eigener Erfahrung. Immer wenn der Staat eine Dienstleistung erbringen muss – einen Stromanschluss, eine Formularausgabe, die Reinigung der Abwasserrohre vor dem Haus – muss draufgezahlt werden. Selbst die heilige Kuh der Verteidigungsausgaben ist von Bestechungsfällen längst beschmutzt – von angeblichen Kommissionszahlungen beim Kauf von Blaupausen für U-Boote der deutschen HDW-Werft 1980 bis zum noch immer anhängigen Skandal von Kommissionszahlungen bei der Beschaffung von 420 Haubitzen der schwedischen Firma Bofors zur Zeit der Kongress-Regierung Rajiv Gandhis.
Die im Fernsehen bis zum Überdruss abgespielten Videos von tehelka.com zeigen, wie die sich als Neulinge ausgebenden Vertreter von „West End International“ lernen, an einen großen Deal heranzukommen. Jeder gab ihnen bereitwillig Auskunft, wie auf welcher Stufe vorzugehen ist und wer wo am Drücker ist, vom Telefonisten bis zum Staatssekretär beim Premierminister.
Die Medien sind nicht unkritisch gegenüber den Methoden der Internetagentur, die schon vergangenes Jahr mit versteckten Kameras beweisen konnte, dass viele Kricketspieler Matchs im voraus gegen Geld „fixieren“. „Doch das Vorgehen der Website“, meint etwa die Times of India, „verblasst angesichts des Drecks, den sie ausgegraben hat.“ Die Zeitung The Hindu meint, die Videos entzögen besonders der BJP die politische Plattform, auf der sie an die Macht kam – als Partei, die im Gegensatz zur Kongress-Partei eine saubere Regierung versprochen hatte. BERNARD IMHASLY/SVEN HANSEN
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