: Schmiede der Macht
Deutschlands Spitzenkräfte haben überdurchschnittlich oft an den Massenunis der Republik die Grundlagen für ihre Karrieren gelegt. Das besagt zumindest eine Studie ■ Von Kathi Seefeld
13 Prozent der deutschen Bevölkerung besitzen einen Hochschulabschluß. Sie haben in der Mehrzahl an einer der 325 deutschen Hochschulen studiert. Auf den Chefsesseln der Nation landeten die wenigsten.
Etwa 4.000 Führungskräfte in Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Justiz, Kirche und Militär machte das Team um den Politologen Wilhelm Bürklin 1995 in ganz Deutschland aus, 2.000 von ihnen befragten die Wissenschaftler in einer Elite-Studie zu den Werdegängen ihrer Macht. Wo haben die Wirtschaftskapitäne, Politikgrößen oder Staranwälte, die mehrheitlich männlich und nicht katholisch sind, ihre Karrieren begründet? Welche Universitäten haben sie besucht?
Mit Harvard oder Oxford vergleichbare Eliteschmieden gibt es hier nicht, weiß Kai-Uwe Schnapp, Mitarbeiter am Berliner Wissenschaftszentrum und Mitautor der Studie. Auch setzt, Staranwalt zu werden, ohne Frage mehr Engagement voraus, als das Studium an einer juristischen Kaderschmiede absolviert zu haben. Den Elite- Forschern fiel auf, daß die Mehrzahl derer, die heute auf einflußreichen Posten zu finden ist, nicht etwa an den kleinen, feinen Hochschulen studiert hat, sondern an Massenuniversitäten.
Etwa ein Drittel der Top-Juristen hat seine Studienzeit in Köln, Bonn, München oder Hamburg verbracht. Jeder zweite erfolgreiche Politologe besuchte die FU Berlin, eine Brutstätte für führende Wirtschaftswissenschaftler ist der Studie zufolge Köln. Daß die Chance, Chefkader hervorzubringen, dort, wo sich ausgesprochen viele StudentInnen tummeln, wahrscheinlich größer ist als an kleinen Universitäten, liegt auf der Hand. Die Elite-Forscher belegten jedoch auch einen überproportional großen Anteil an Führungskräften, die aus dem Dschungel der Massenhochschulen in München, Köln, Berlin oder Münster hervorgegangen sind. So bildet die Ludwig-Maximilian-Universität in München 3,2 Prozent aller Studierenden Deutschlands aus, stellt aber laut Elite-Umfrage sieben Prozent der Besitzer einflußreicher Posten.
Tücke der empirischen Erhebung ist, daß das Gros derjenigen, die heute auf den Chefsesseln sitzen, in den 50er und 60er Jahren studierte, als die Universitäten eigentlich noch gar keine Massenuniversitäten waren. Erst seit dem sogenannten Öffnungsbeschluß im Jahr 1977 stieg die Anzahl der StudentInnen um 70 Prozent, was beachtenswert wäre, stünde dem nicht ein Anwachsen des wissenschaftlichen Personals um lediglich sechs Prozent gegenüber. Die Bedingungen, die derzeit an den Massen-Unis herrschen, sind geprägt von einem ständig geringer werdenden Praxisbezug als Folge von immer weniger Mitteln für Lehraufträge. Wer heute Karriere machen will, entscheidet sich zunehmend für eine kleine Hochschule.
Diese können oft flexibler und unkonventioneller auf veränderte Anforderungen der Gesellschaft reagieren. Oft werden auch neue Wege beschritten: Die Technische Universität Chemnitz-Zwickau, setzt beispielsweise konsequent auf die „virtuelle Universität“. 234 StudentInnen nehmen an einem in Deutschland einmaligen Internet- Aufbaustudium teil. Alle Wohnheimplätze sind online. Doktoren können ihre Dissertationen ebenso per Internet einreichen wie Philosophen ihre Hausarbeiten. Die Potsdamer Uni bietet einen speziellen Studiengang in französischem Recht an. An der Europa- Universität „Viadrina“ in Frankfurt (Oder) wachsen an der Grenze zu Polen Talente mit Blick auf den osteuropäischen Markt heran. Die Bergakademie Freiberg verknüpft am Interdisziplinären Ökologischen Zentrum umweltorientierte Disziplinen mit Ingenieurtechnik und Sozialwissenschaften zu Studiengängen wie Geoökologie, angewandte Naturwissenschaft und Umwelt-Engineering. Nicht auszuschließen, so Elite-Forscher Schnapp, daß die künftigen Führungskräfte Deutschlands hier ihre Karrieren begründeten.
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