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Archiv-Artikel

Schmerzhaft

Endlich untersucht eine Studie, warum Polizisten immer wieder BürgerInnen misshandeln. Doch das Ergebnis hilft weder den Opfern noch der Polizei

Immer wenn irgendwo in Deutschland Menschen von Polizisten misshandelt werden, heißt es in den Innenministerien: Das sind nur „bedauerliche Einzelfälle“. Da klingt es zunächst gut, dass im renommierten „Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen“ (KFN) in Hannover eine wissenschaftliche Studie erarbeitet worden ist, die erklären könnte, wie polizeiliche Übergriffe zustande kommen.

Ob amnesty international oder das Komitee für Grundrechte, ob Humanistische Union oder andere Bürgerrechtler – auf ein solches Buch wartet man in Deutschland schon lange. Denn was in den USA, Großbritannien oder auch den Niederlanden ganz normal ist, fehlt hier weitgehend: Polizeiforschung außerhalb der Polizei. Und eine Studie über polizeiliche Übergriffe ist ohnehin ein Novum, fast schon ein Tabubruch.

Sinnvoll könnte eine solche Studie schließlich auch für die Polizei selbst sein. Zumindest für etliche der jüngeren, fortschrittlicheren PolizeiführerInnen, die der ministeriellen Standardformel längst nicht mehr vertrauen und gerne wüssten, wie sich derartige Szenen verhindern, zumindest aber einschränken ließen. Doch was die Autorin Christiane Bosold mit ihrer Dissertationsschrift vorgelegt hat, ist für die Alltagsarbeit der einen wie der anderen schlicht unbrauchbar.

Im Rahmen eines KFN-Forschungsprojekts „Polizei im Wandel“, unterstützt vom Niedersächsischen Innenministerium, erhielten insgesamt 2.800 PolizistInnen verschiedener Altersgruppen und Dienstgrade Fragebögen. Rund 1.700 anonymisierte Fragebögen wurden zurückgesandt und ausgewertet. Das bedeutet einen Rücklauf von etwa 61 Prozent und somit eine äußerst gute Quote. Daraus hätte etwas Ordentliches werden können, auch wenn die Mehrheit der Befragten die Frage nach einer eigenen Beteiligung oder Beobachtung von Übergriffen nicht beantwortet hat. Wenn selbst in der Anonymität nicht sein kann, was nicht sein darf, dann sagt dies viel über polizeiliches Selbstverständnis aus.

Doch was hat die Autorin daraus gemacht? In ellenlangen, für Normalbürger und -polizisten kaum verständlichen Kapiteln erläutert sie in wissenschaftlichem Kauderwelsch ihr Vorgehen sowie ihr „experimentelles Forschungsdesign“ und definiert langatmig mögliche soziologische Erklärungsmuster. Insgesamt allerdings erfährt man wenig, schon gar nichts Neues. Außer vielleicht, dass sich polizeiliches Gewaltverhalten aus der Gruppenzugehörigkeit und dem individuellem Selbstwertgefühl entsprechend einem Faktor „r.33“ ergibt.

Danke, eine solche Erklärung hilft wirklich weiter. Unterm Strich liest sich das ganze Werk denn auch eher wie der Schriftsatz eines Gutachters, der vom Anwalt eines beschuldigten Polizeibeamten beauftragt wurde. Nein, noch schlimmer: Es ist ein verbaler Übergriff auf alle, die sich ernsthaft mit Polizeigewalt auseinandersetzen wollen oder müssen. Allein das Buch zu lesen bereitet körperlichen Schmerz.

OTTO DIEDERICHS

Christiane Bosold: „Polizeiliche Übergriffe. Aspekte der Identität als Erklärungsfaktoren polizeilicher Übergriffsintentionen“. Nomos Verlag, Baden-Baden 2007, 211 Seiten, 32 Euro