Schmelze in Rekordtempo: Eis der Arktis so klein wie nie
Noch nie hat sich das Meereis im hohen Norden so stark zurückgezogen wie in diesem Sommer. Wissenschaftler warnen vor Umweltgiften aus dem nicht mehr ewigen Eis.
STOCKHOLM taz | Das arktische Meereis hat im Juli dieses Jahres einen Rekord aufgestellt. Noch nie war es in einem Vergleichsmonat seit Beginn der Aufzeichnungen 1970 so weit abgeschmolzen. Die Arktis gilt als wichtiger Indikator für das Fortschreiten des Klimawandels.
Die bisher geringste Ausdehnung des arktischen Meereises beobachteten Wissenschaftler im Sommer 2007 - in diesem Jahr sind es mit 7,92 Millionen Quadratkilometer noch einmal 210.000 weniger als damals zur gleichen Zeit. Die Daten stammen vom U.S. National Snow and Ice Data Center NSIDC, das Satellitenaufnahmen auswertet. Das Eis erreicht im März seine größte und im September seine geringste Ausdehnung.
Einen ganzjährigen Minusrekord werde es wahrscheinlich nicht geben, vermutet Walt Meier vom NSIDC: Neue Daten wiesen darauf hin, dass die Schmelzgeschwindigkeit deutlich abnimmt. Dieser Sommer werde trotzdem zu einem der fünf eisfreiesten überhaupt zählen. Im Vergleich zu den 1950er Jahren ist die Hälfte des damaligen arktischen Sommereises verschwunden.
Die Schwankungen der letzten Jahre seien minimal, sagt Meier, sie werden vor allem Meeresströmungen und Winde hervorgerufen. Trotzdem werde es in der Arktis immer wärmer. In diesem Jahr liege die Temperatur durchschnittlich 1,5 bis 2,5 Grad über dem Niveau der letzten 30 Jahre, regional sogar bis zu 7 Grad.
Computersimulationen zeigten, dass auch in Zukunft mal mehr, mal weniger Eis schmelzen werde, erklärte Mark Serreze, NSIDC-Direktor, gegenüber dem britischen Guardian: "Insgesamt jedoch gibt es eine Spirale nach unten." Eine völlig eisfreien Arktissommer erwartet er für 2030. Andere Wissenschaftler sind pessimistischer und sehen diesen womöglich schon um das Jahr 2020 kommen - 50 bis 60 Jahre früher als der Bericht des UN-Klimapanels IPCC aus dem Jahre 2007.
Das russische Hydrometeorologische Institut meldete, dass bis in den September hinein nahezu die gesamte nördliche Schifffahrtsroute entlang der sibirischen Küste ohne die Hilfe von Eisbrechern befahrbar sei. Auch weite Teile der Nordwestpassage entlang der Küste Kanadas und Alaskas sind laut von NSIDC veröffentlichten Satellitenaufnahmen derzeit eisfrei.
Neben der Fläche schrumpft auch das Volumen des Eises. Zudem wird es wackeliger, weil immer weniger Eis mehr als einen Sommer liegen bleibt, was für Stabilität sorgen würde. Die Schmelze von Alteis habe eine gefährliche Nebenwirkung, warnen nun kanadische und norwegische Wissenschaftler: Damit werde gleichzeitig eine große Menge bislang gebundener Giftstoffe und Chemikalien freigesetzt und können wieder in die Nahrungskette gelangen, auch teilweise schon seit Jahrzehnten verbotene, organische Schadstoffe wie DDT, Lindan und HCB.
"Wir wissen noch nicht, wie viel dort gespeichert ist, wie viel freigesetzt wird und wie schnell das geht", sagte ein kanadischer Wissenschaftler dem Guardian.
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