: Schmäh in Versen
Dichtung und Fußball: kein Gegensatz, keine Unwahrheit. Es gibt sogar den national organisierten Dichterfußball
Früher waren Dichter und Fußball zwei paar Schuhe. Mittlerweile ist das anders. Seit drei Jahren gibt es eine professionell betreute Dichternationalmannschaft, die an allerlei Wettbewerben teilnimmt.
Nun ist Süper-EM und alle fußballernden Dichter schildern das Turnier in Kolumnen und machen auch sonst noch Sachen im Beiprogramm: Am Sonntagnachmittag trafen jeweils zwei Dichter aus Österreich und Deutschland im ARD-Hauptstadtstudio aufeinander. Der inhaltliche Zusammenhang ergab sich dadurch, dass die beiden Länder tags darauf gegeneinander spielen sollten. Pikant dabei: Nur zweimal in ihrer Geschichte hatten sie bislang gegeneinander gespielt. Das eine Spiel war als „Schmach von Córdoba“, das andere als „Schande von Gijón“ berühmt geworden.
Auf Seiten der Österreicher waren die Dichter Egyd Gstätter und Franzobel, auf Seiten der Deutschen Frank Willmann und Jochen Schmidt „angetreten“. „Augenzwinkernd“ sollte die „Traditionsfeindschaft“ der Mannschaften, also Länder, beleuchtet werden, irgendwie erwartete man, dass die Autoren auf lustige Art allerlei Gemeines vorlesen sollten.
Eigentlich ist den Dichtern das Nationalidentifikatorische eher ein Transitorisches, also nicht so wichtig. Franzobel wünschte sich, dass Deutschland verliert und Polen weiterkommt. Frank Willmann las eine Jugendgeschichte, die davon erzählte, wie der FC Carl Zeiss Jena 1980 gegen den AS Rom im Europacup gewann. Egyd Gstätters denunzierte links-aufklärerisch noch mal die bösen Sekundärtugenden, die Berti Vogts lange unterstellt wurden. Franzobel trug ein schwarzhumoriges Selbstmordgedicht vor, berührte unzüchtig das Fußball-und-Homosexualitäts-Tabu, und Jochen Schmidt berichtete aus dem Innenleben der Dichterfußballnationalmannschaft.
Die späte Berufung des sensiblen Stars der „Chaussee der Enthusiasten“ in die Dichterfußballnationalmannschaft ist eine offizielle Anerkennung seiner oft autobiografischen Schreibweise, die das eigene Leben nicht nur anekdotisierend abdichtet, sondern auch Verletzungen sichtbar macht und nur auf den ersten Blick fußballfern wirkt. Sport hält das verletzliche Ich ja zusammen, das nicht empört, sondern „beschämt“ ist, „wenn der Schiedsrichter gegen einen pfeift“. DETLEF KUHLBRODT